MATRIX 1/2013 (31) • Schatten und Ebenbild • neue sorbische Literatur und Kunst

M_31_1Die gegenwärtige sorbische Dichtung und Kunst sollte der Schwerpunkt unserer jetzigen Ausgabe sein. Was sie historisch geprägt hat – vom ältesten erhaltenen sorbischen Text (Bautzener Bürgereid, 1532) über die Reformation, die den Beginn der sorbischen Literatur markiert, und die Entwicklung des Nationalgefühls im 19. Jahrhundert bis zur Unterdrückung während des Nationalsozialismus oder der Förderung im Sinne des „Aufbaus des Sozialismus“ zu DDR-Zeiten –, das kann ich nicht ohne Weiteres beurteilen.

Das habe ich vor fast zwei Jahren in meinem Editorial angemerkt, als wir Ihnen den ersten Kontakt mit der sorbischen Literatur und Kultur durch einige sorbische Dichter und Künstler zu vermitteln versucht haben. Ich erinnere mich noch genau, dass während der Arbeit an der damaligen Ausgabe einer der Autoren mir sagte: „Was ist denn ,sorbische‘ Kunst? Und was dann ,deutsche‘ Kunst? Ich halte nichts von nationalen Stempeln und würde dir vorschlagen: ,Kunst und Gedichte zweisprachiger Lausitzer Dichter‘.“

Dennoch habe ich diesmal ganz bewusst einen Teil unseres literarischen Fests unter den Titel Schatten und Ebenbild – neue sorbische Literatur gestellt. Nicht weil ich gegen die damalige Formulierung etwas hätte, nicht weil ich „nationale Stempel“ ins Gespräch bringen wollte oder weil ich nicht wüsste, dass diese Autoren zweisprachig sind, sich also in zwei Sprachen entwickelt haben und weiterentwickeln. Ich bin auch nicht der Ansicht, dass die Themen, die Problematik sowie die Art und Weise, sie darzustellen, ein sorbisches Etikett tragen müssten. Das wäre so, als ob ich diese wunderbare Literatur und Kultur zum Ghetto verurteilte. Gott bewahre! Literatur ist Literatur und Kunst ist Kunst. Alles, was von Wert ist, wird überall und immer gültig sein, überall und immer wahrgenommen werden. Und alles, was nicht von Wert beziehungsweise nichtssagend ist, wird niemals und nirgendwo gebraucht. Ich habe mich vielmehr für den weiter oben genannten Titel entschieden, weil mir ganz einfach das Gesicht dieser Literatur und Kunst so eindrucksvoll und einprägsam entgegengetreten ist, dass ich es unbedingt mit einem Namen ansprechen wollte. Und ich habe keinen besseren gefunden als … sorbisch.

Wie gesagt, das ist nur ein Teil unseres literarischen Fests – und was für einer! Denn das sorbische Literaturfest (das tatsächlich am 17. März 2013 auf der Leipziger Buchmesse stattfindet und von allen sprachkünstlerisch oder kulturhistorisch Interessierten live miterlebt werden kann*), bringt diesmal einige junge Prosaschriftsteller zusammen: Benno Budar, Jěwa-Marja Čornakec, Benedikt Dyrlich, Lubina und Dušan Hajduk-Veljković, Marion Quitz – auf deren Tuschezeichnungen hier ebenfalls hingewiesen sei –, Lenka (Christiane Piniek / Christiana Piniekowa) sowie Dorothea Šołćina. Und wenn die Formulierung Förderung im Sinne des „Aufbaus des Sozialismus“ zu DDR-Zeiten im vorangestellten Zitat für Sie, liebe Leserinnen und Leser, eine Irritation mit sich bringt, Ihnen also immer noch keine Ruhe lassen sollte, dann lade ich Sie ein, sich in dem ausführlichen Essay von Benedikt Dyrlich mit dem Titel Sorbischer Dichter in der DDR. Erfahrungen aus den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts nicht nur detaillierte, sondern auch höchst kompetente Auskünfte zum Thema Unter Förderung, Beobachtung und Gängelei zu holen.

Theo Breuers B·U·C·H·S·T·A·B·E·E·T-Essay über Gedichte des vergangenen Jahres im deutschen Sprachraum vollendet ein gleichsam vierblättriges literarisches Kleeblatt, das 2012 aus Atmendes Alphabet für Friederike Mayröcker (MATRIX 28), Jeder auf seine Art für Hans Bender (MATRIX 29) und dem Gedichtband Das gewonnene Alphabet erwachsen ist.

Unter dem Motto Das Knirschen des Schnees unter den Stiefeln stellen wir diesmal Georg Janßens Malereien zu Gedichten und Prosa von Karl Wolff vor, natürlich in Begleitung von dessen Gedichten – als einen einladenden Auszug aus dem gleichnamigen Buch, das vor Kurzem erschienen ist.

Fred Viebahn schreibt uns wieder aus den USA. In Deutsch auf Deutsch in Amerika trifft er auf Amerikanisch eine Frau aus deutschen Landen.

Acht neue Texte von Franz Hodjak, dem ebenso facetten- wie nuancenreichen Dichter, Prosa- und Dramenautor, der neben vielen anderen Ehrungen auch den Preis des Landes Kärnten beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 1990 erhielt, sowie neue Texte von Florica Madritsch Marin, Michael Hillen, Jan Christ, Ulrich Bergmann und Balthasar Waitz nehmen ebenfalls an unserem literarischen Fest teil.

Natürlich fehlen auch diesmal die Rezensionen nicht: Wolfgang Schlott, Barbara Zeizinger und Uli Rothfuss haben für Sie einige an die Redaktion geschickte Bücher sorgfältig unter die Lupe genommen.

Ihnen eine angenehme, spannende Lektüre – und vergessen Sie nicht: Sie sind alle herzlich eingeladen zu unserem Literaturfest auf der Buchmesse Leipzig 2013! Dort finden Sie uns in Halle 4, Stand  404.

Ihr
Traian Pop

Es signiert:

• Benno Budar • Jěwa-Marja Čornakec • Benedikt Dyrlich • Lubina und Dušan Hajduk-Veljković • Marion Quitz • Lenka • Dorothea Šołćina • Ulrich Bergmann • Balthasar Waitz • Jan Christ • Theo Breuer • Franz Hodjak • Uli Rothfuss • Florica Madritsch • Georg Janßen • Karl Wolff • Fred Viebahn • Traian Pop • Barbara Zeizinger • Wolfgang Schlott • Michael Hillen •