MATRIX 3/2022 (69)_Zeitschrift für Literatur und Kunst

MATRIX 3/2022 (69)_Zeitschrift für Literatur und Kunst

Letzte Nacht geriet ich in einen Streit mit jemandem, der darauf bestand, mich in die Political Correctness einzuweihen.

Alles begann mit dem Artikel eines bekannten Journalisten, dessen Namen ich natürlich nicht erwähnen soll. Ich hatte also ein Material gelesen (das ich hier nicht wiedergeben kann, um nicht des Plagiats beschuldigt zu werden) über eine berühmte Sportlerin (darf ich das aus oben genannter Sicht sagen?), die ihr Brot als Profi in ihrem Land verdient (dessen Namen hier zu nennen nicht korrekt wäre), doch während ihres Urlaubs spielte sie – zur Abrundung ihres Einkommens – in einem Verein jenes Landes, dessen Namen man auf keinen Fall nennen soll. Und so verdiente sie im Urlaub etwa „n“-mal mehr als bei der Tätigkeit im Herkunftsland. Sie tut dies seit mehreren Jahren und kennt daher die Gepflogenheiten und Gesetze des Ortes, an dem sie ihre Ferien verbringt. Trotzdem wurde sie vor nicht allzu langer Zeit an einem Grenzübergang, der weltweit für die Strenge der Kontrollen bekannt ist, mit Drogen im Gepäck überrascht, die in ihrem Urlaubsland gesetzlich verboten sind. Bestrafung? Bis zu annähernd zehn Jahre Haft.

Von einem sehr hohen Beamten des Heimatlandes der Sportlerin wie auch ihren Anwälten und vielen Unterstützern wird dem Urlaubsland „illegale Festnahme“ vorgeworfen: ein Propagandaversuch.

Nach etlichen Monaten gescheiterter Verhandlungen über ihre Freilassung gestand sie plötzlich ihre Schuld ein, erklärte aber, dass sie das Gesetz nicht „vorsätzlich“ gebrochen habe, und der Größte des Tages in ihrem Herkunftsland glaubt immer noch, dass die Sportlerin „zu Unrecht inhaftiert“ wurde!
Nach einer Ewigkeit legte ein Anwalt der Sportlerin ein Dokument vor, das bescheinigte, dass ihr das „Medikament“ zu Hause von einem Arzt verschrieben wurde. Es steht jedoch fest, dass das vom Arzt ausgestellte Rezept zwar in ihrem Herkunftsland legal ist, im Urlaubsland aber, wo andere Gesetze gelten, keine Gültigkeit hat. Obendrein geriet die Sportlerin, die sich für ihre Art zu lieben und zu leben stark macht – eine Art, die im Urlaubsland nicht akzeptiert wird –, von Anfang an ins Fadenkreuz der Behörden. Sie konnte ihre medizinische Situation mit der Ferienclubleitung besprechen und eine Einigung mit den örtlichen Behörden erzielen. Aber sie trat arrogant auf mit dem Gedanken, dass es auch im Land ihrer profitablen Urlaube genauso laufen würde wie zu Hause, wo ihre Berühmtheit viele und vieles zum Dahinschmelzen brachte.

Dass ihr Urlaubsland den Fehltritt nutzt, um im Nervenkrieg mit ihrer Heimat zu punkten, ist klar. Klar ist aber auch, dass die Inhaftierung der Sportlerin auf keinen Fall rechtswidrig ist.

Nach einiger Zeit sind Informationen über eine mögliche Lösung der Situation aufgetaucht: ein Austausch von Geiseln zwischen den beiden Ländern. Als Gegenleistung für ihre Freilassung soll ein anderer Häftling ausgeliefert werden, der ab der Jahrtausendwende als der meistgesuchte Mann der Welt galt, immer noch mehrere Staatsbürgerschaften sowie anhängige Verfahren hat und seit mehreren Jahren (es wäre falsch, nicht wahr, zu sagen seit wie vielen) wegen unterschiedlicher hochkrimineller Machenschaften (über die es nicht geraten ist zu sprechen) hinter Gittern sitzt. Die Berater des Größten des Tages im Herkunftsland der Sportlerin hoffen, dass der Erfolg dieses Deals ein großer PR-Schlag werden und ihnen bei den bevorstehenden Wahlen erheblich helfen könnte. Es wäre möglich.

Bei allem Mitgefühl, das der Sportlerin entgegengebracht werden muss, obwohl sie die einzige Schuldige an der Situation ist, in der sie sich befindet, bleibt eine Frage im Raum stehen: Wie moralisch wäre eine Vereinbarung, durch die ein Krimineller wie der oben genannte im Austausch freigelassen würde? Aber in der Politik liegt der Preis der Moral im permanenten … „negativen Wachstum“.

Diese ganze Geschichte entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn die Sportlerin, für deren Befreiung sich der Größte des Tages in ihrem Heimatland so intensiv einsetzt, steht zu ihrer Position, die offiziellen Insignien ihres Landes nicht zu respektieren und während des Spielens der Nationalhymne den Platz zu verlassen. Es wäre jedoch keineswegs verwunderlich, wenn der Größte des Tages der Sportlerin nach ihrer Rückkehr die höchste Auszeichnung überreichen würde, die ein Bürger ihres Herkunftslandes erhalten kann, wie er es mit anderen – sehr lautstarken – Aktivisten bereits getan hat. Bis dahin aber wird es noch dauern, denn jetzt weiß sie genau, dass ihr in ihrem Urlaubsland statt einer Suite eine Gemeinschaftsunterkunft in einer Strafkolonie reserviert ist.

Was soll dies zu tun haben mit der Aussage, dass „mir die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe, zu diesem Freundeskreis, sehr viel bedeutete und auch heute noch bedeutet. Ich sehe mich mit allen damals Dazugehörenden weiterhin geistig eng verbunden“, so eines der Mitglieder der viel beneideten literarischen Gruppe, deren Gründung sich in diesem Sommer zum 50. Mal jährte? Ich frage das, weil ich von dieser Gruppe geträumt habe, als ihr Kampf begann. Und – haben Sie es erraten? – ich bin genau in dem Moment aufgewacht, als ich ihren Namen aussprach. Denn wer sich mit zu heißer Suppe die Zunge verbrannt hat, bläst auch in den Joghurt, zumindest wenn er gerade aus dem Schlaf gerissen wird. Ich frage mich jedoch, wie das wäre, wenn jeder auch in den Joghurt zu pusten anfinge …

Hochpolitisch und brisant waren die Worte dieser Jungs, die mir persönlich damals sehr nahegingen – trotz meiner Neigung, nicht alles, was engagiert klingt, positiv zu bewerten. Weil damals, wie leider immer noch, die Welt voller Engagement war: ein Engagement, hinter dem nicht selten nur leere Versprechungen standen.

Vor ein paar Jahren habe ich – mit Hilfe Host Samsons – einen Text entdeckt, der mir immer noch wie kein anderer mit seiner Schlichtheit, Natürlichkeit und Wärme der damaligen Aktionsgruppe Banat gerecht zu werden scheint: das lange Gedicht periamportreport, 1975 von Werner Kremm verfasst, aus dem ich hier zitiere:

„das ist ein singsang,
geschrieben von einem, der auszog
das fürchten zu lernen
und zeitweise bokschan mit periamport velwechsert,
zu seiner persönlichen verteidigung aber behauptet,
nicht zu wissen,
was er tut,
auf die frage, weshalb er schreibe,
gegenwärtig folgender-
massen antwortet: die einzig seriöse einstellung eines schreib-
enden ist, zu schreiben.“

„Für die Schreibtätigkeit der Angehörigen der »Aktionsgruppe« bedeutete die »eigene gesellschaftliche Realität« und das »neue Realitätsbewusstsein« einen dreifachen Bezugsrahmen der Reflexion und Kritik: Es ging dabei um die »realsozialistische« Gesellschaft Rumäniens und die noch stark traditional ausgerichtete Gemeinschaft der Banater Schwaben und ihre »Lebenswelt«. Beides – mitunter in einer »unheiligen Allianz« – erschien uns im Lichte der Moderne überaus fragwürdig, beides galt mithin als Gegenstand der Kritik und Grund zur Veränderung. Und die Grundlage dieser Kritik und ihr Hintergrund bestand gleichsam in der dritten Dimension unseres »Realitätsbewusstseins«, nämlich der Literatur, der modernen westlichen Literatur und dem Weltverständnis und Lebensgefühl, das diese vermittelte. Als Weg der Veränderung in diesem Sinne wurde allerdings nicht die direkte Aktion angesehen – insofern passt der Name »Aktionsgruppe« auch nur eingeschränkt –, sondern der Umweg über das Bewusstsein, über die Einstellungen und Haltungen zu diesen gegebenen Realitäten.“ So Anton Sterbling, dessen Artikel Sie ab Seite 29 lesen können.

Ich hätte Ihnen gerne auch erzählt, wann und wie ich diese Jungs kennenlernte und warum ich mich in deren Gesellschaft so wohl fühlte. Vielleicht tue ich das ein andermal. Zurzeit erscheint es mir etwas peinlich, mich an deren Erfolg dranzuhängen.

„Es war schon immer so, daß wir geschrieben haben, / um dereinst nicht mehr schreiben zu müssen.“ Holdger Plattas Gedichte scheinen uns und unseren Ansatz gegen das „Pusten in den Joghurt“ zu unterstützen – genauso wie die starke Abteilung von, mit und über Manfred Chobot: „»Gedichte muss man so schreiben, dass sie, wenn man sie gegen ein Fenster wirft, die Fensterscheibe zerschlagen.« Dies hat der russische Dichter Daniil Charms geschrieben. Seiner Forderung schließe ich mich vollinhaltlich an.“ Wundern Sie sich bitte nicht, wenn Sie feststellen müssen, dass unsere Ausgabe keine Scheibe mehr hat, gerade jetzt, wenn alle beim Heizen sparen müssen.

Nicht so schlimm, scheint Charlotte Ueckert zu sagen, wenn die Protagonistin ihrer Prosa sich erinnert: „Das wäre damals doch was gewesen: Duschbusse an zentralen Plätzen und man wäre als neuer, sauberer Mensch herausgekommen. Desinfiziert gegen jede Unzumutbarkeit.“

Dagmar Dusils Kurzprosa, die meisterhaft von einem Haiku angekündigt wird, bringt uns nicht nur einen unserer Bekannten nahe, sie fordert uns auf, an die Beziehung zu Unserer Zeit zu denken: „»Es ist deine Zeit«, (…) »Zeit ist Sand«, hatte sie ergänzt, »warm und zerrinnend, kalt und abweisend. Es ist nicht deine Zeit, sondern du gehörst der Zeit. Irgendwann braucht dich die Zeit nicht mehr, entledigt sich deiner. Dann folgt deine zeitenlose Zeit.«“
Der Essay von Kurt Roessler, Roma-Schausteller in Literatur und Kunst, der beginnenden Moderne bei Apollinaire, Picasso und Rilke, einer von vielen Schreien, unter der Initiative Der Himmel über Philomena gesammelt und herausgegeben von unserem Mitstreiter Matthias Buth, setzt sich nicht nur mit der Neigung auseinander, in den Joghurt zu pusten, sondern auch mit den Vorurteilen vieler von uns.

Unser ebenfalls sehr geschätzter Mitstreiter Theo Breuer lädt uns mit dem vierten Essay des insgesamt siebenteiligen Projekts L·i·t·e·r·a·t·o·u·r »22« nach Norwegen ein – in Begleitung von Ingebjørg Berg Holm, Toril Brekke und Sigrid Undset –, um den „rostigen Klang von Freiheit“ zu erfahren. Sein fünfter Essay bringt uns Harald Gröhler näher: Flüchtig vorgestellt anhand einer Reihe von Büchern.

„Die Verlegenheit bleibt, nicht wenigen ist es peinlich, zu singen und dann auch noch »für das deutsche Vaterland«. Was heißt das eigentlich? Wer von den Ampelisten aus Berlin spricht davon? Und »im Glanze dieses Glückes« – ja, von Glück ist die Rede – soll dieses Land, das deutsche Vaterland, »blühen«. Die Blumen heißen »Einigkeit und Recht und Freiheit«. Nicht alle Bundesminister vermochten am 3. Oktober 2022 in Erfurt beim »Nationalfeiertag« (schon diese Bezeichnung irritiert viele) mitzusingen, so Steffi Lemke. Sie schwieg.“ Manche Sätze in Matthias Buths Essay sind wahre Verzweiflungsschreie – wie dieser Ausschnitt aus Clara Schumann. Souvenir de Bonn et de Vienne
(ab S. 165).

„Wer mit dem gewaltigen Werk des Dichters Samson ein wenig vertraut ist, der wird nun auch den Mut haben, nach dessen Spiel mit dem Meer, der Zeit und dem Feuer sich an eine Monografie über sein Werk wagen. Nur zu, es lohnt sich!“ So beendet Wolfgang Schlott eine der besten Buchbesprechungen, die ich gelesen habe, zu Horst Samsons Der Tod ist noch am Leben,

Zu Matthias Buths Der Himmel über Philomena ‒ Auschwitz sieht uns an. Eine Anthologie zur Kulturgeschichte schreibt Barbara Zeizinger: „Für Matthias Buth ist Philomena mehr als eine Sintiza, die Auschwitz überlebt hat. Sie ist für ihn eine Mutter Courage. Daher hat er mit diesem Buch eine edition philomena eröffnet, in der er gemäß dem Satzungsauftrag des Philomena-Franz-Forums Texte der deutschen Kulturgeschichte in ihren europäischen wie regionalen wie ethnisch-spezifischen Bezügen publizieren wird. Gemeint sind Texte, die Courage, Entschiedenheit unter das Dach einer Kultur der Liebe und des Verzeihens stellen.“

Ewart Reders Rezension zu Sabine Doerings Friedrich Hölderlin. Biographie seiner Jugend sowie die Berichte aus der Kulturszene von Francisca Ricinski (Die Haut umschließt die Seele: Berlinde De Bruyckere und ihre Skulpturen, 3. Juli 2022 – 8. Januar 2023, Arp Museum, Bahnhof Rolandseck) und Widmar Puhl (Kosmopolitisch: Saisonauftakt des SWR Symphonieorchesters) runden dieses Heft ab.

Die vierte Ausgabe dieses Jahres ist auch fast fertig und wird in Kürze erscheinen. Hoffentlich werden wir uns demnächst nicht mehr für Verspätungen entschuldigen müssen.

Herzlich,
Ihr Traian Pop Traian

• Werner Kremm • Ein Gedicht für jede Jahreszeit • 50 Jahre Aktionsgruppe Banat • Anton Sterbling • Holdger Platta • Manfred Chobot • „Grenzen auszuloten, um sie überschreiten zu können …“ • Charlotte Ueckert • Dagmar Dusil • Der Himmel über Philomena • Auschwitz sieht uns an • Kurt Roessler • Theo Breuer • Literatour »22« • Matthias Buth • Wolfgang Schlott • Barbara Zeizinger • Ewart Reder • Helmuth Schönauer • Sylvia Unterrader • Widmar Puhl • Francisca Ricinski • Traian Pop Traian • Aleksander Nawrocki • Peter Gehrisch • Widmar Puhl •Traian Pop Traian • Mark Behrens • Philipp Ammon • Eva Filip • Wolfgang Schlott • Stefanie Golisch • Christoph Kleinhubbert • Harald Gröhler • Ortwin Beisbart • Uli Rothfuss •

Traian Pop Traian • Editorial / S.4

Die Welt und ihre Dichter
50 Jahre Aktionsgruppe Banat
Werner Kremm • periamportreport / S. 11
Anton Sterbling • Verschlungene Erinnerungsfragmente . Assoziationen zu einer Stadt / S. 31
Anton Sterbling • Stichworte zur Aktionsgruppe Banat / S. 41

Holdger Platta • Neun Gedichte / S. 49
Manfred Chobot • Zehn Gedichte / S. 63
Manfred Chobot • Jurytätigkeit / S. 78
Manfred Chobot antwortet Dato Barbakadse fragt • „Grenzen auszuloten, um sie überschreiten zu können …“ / S. 88
Charlotte Ueckert • Bei die Fische . Prosa / S. 103
Dagmar Dusil • Haiku & Prosa . Der Wortmagier / S. 112

Der Himmel über Philomena • Auschwitz sieht uns an
Kurt Roessler • Roma-Schausteller in Literatur und Kunst der beginnenden Moderne bei Apollinaire, Picasso und Rilke / S. 117

Theo Breuer • L·i·t·e·r·a·t·o·u·r »22« Teil 4 : Ein rostiger Klang von Freiheit – und mehr . Nach Norwegen reisen – mit Berg Holm, Brekke, Undset / S. 133
Theo Breuer • L·i·t·e·r·a·t·o·u·r »22« Teil 5 : Harald Gröhler … . Flüchtig vorgestellt anhand einer Reihe von Büchern / S. 144
Matthias Buth • Clara Schumann . Souvenir de Bonn et de Vienne / S. 167
Bücherregal
Wolfgang Schlott • „Gegen die Kraft der Poesie [aber] ist der Tod machtlos.“ . Horst Samson, Der Tod ist noch am Leben / S. 175
Barbara Zeizinger • Bei Philomena wird immer eine Tür geöffnet . Matthias Buth (Hg.), Der Himmel über Philomena ‒ Auschwitz sieht uns an. Eine Anthologie zu Kulturgeschichte / S. 179
Ewart Reder • Verseflüsterin . Sabine Doering kommt „Friedrich Hölderlin“ unfassbar nah / S. 183
Helmuth Schönauer • Manfred Chobot, Das Hortschie-Tier und die Lurex-Frau. Hyper-Texte / S. 186
Sylvia Unterrader • Manfred Chobot, „Hawai’i“ Mythen und Götter / S. 189

Aus der Kulturszene
Francisca Ricinski • „Die Haut umschließt die Seele“ . Berlinde De Bruyckere und ihre Skulpturen / S. 191
Widmar Puhl • Kosmopolitisch: Saisonauftakt des SWR Symphonieorchesters / S. 196

MATRIX 2/2022 (68)_Zeitschrift für Literatur und Kunst

Tag 68 des Editorials: innerer Kampf

Ein verrückter Gedanke … Wie alle Gedanken, die eine eigene Realität von heute in eigenen Bildern von gestern darstellen wollen, geht mir ein Schlagwort aus dem rumänischen Frühjahr 1990 nicht aus dem Kopf, als zurückkehrenden Exilanten vorgeworfen wurde, keine Salami mit Soja gegessen zu haben! Denn das bedeutete damals Wohlbefinden: nicht gezwungen gewesen zu sein, Salami mit Soja zu essen! Heute auch? Gerade umgekehrt, meinen Ernährungswissenschaftler, die uns beibringen wollen, was für unsere Gesundheit gut wäre und was nicht. Was nun mit meinem seit über 32 Jahren erfüllten Traum, keine Salami mit Soja mehr gegessen zu haben? Soll ich daraus schließen, dass die damaligen Berater des „nationalen Wohltäters“ Rumäniens es bereits besser wussten? Verstehen soll das, wer kann. Es ist alles nur ein Witz. Oder?
Heute erinnere ich mich erneut an Zeiten, als ich dachte, dass alles, was ich bis dahin geschrieben hatte, keine Berechtigung mehr habe, weil – nicht wahr? – die Gegebenheiten nun andere waren. Was sollte ich anfangen mit meinem Krieg mit Ceauşescu, als der nicht mehr da war? Damals, als ich begonnen hatte, an den Schriftsteller Traian Pop Traian zu glauben? Sollte dies die Wirkung der literarischen Veranstaltung sein, die vor einigen Wochen stattfand, als ich nicht nur einen Haufen Bücher verkaufen konnte, sondern auch als Verleger so gelobt wurde, dass ich am liebsten nicht dabei gewesen wäre? Als Verleger nämlich, Sie haben richtig gelesen. Denn der Autor blieb irgendwie auf der Strecke. Soll ich das nun so verstehen, dass der Verleger den Autor verdrängt hat? Soll dies der Anfang des Endes sein?
Apropos Lob: Ich denke immer öfter, dass Lob mehr schadet als nützt. Es teilt. Es verursacht Reaktionen, die sich nur mit der Unvorhersehbarkeit, der einzigen Konstante, die in unsere sterbliche DNA eingeprägt ist, erklären lassen – falls in dieser Welt noch etwas konstant und überhaupt erklärbar geblieben ist. Wenn ich das Lob erwidern könnte, das mir zuteil wurde, ohne diejenigen zu beleidigen, die mich damit bedachten, würde ich nur ein einziges bewahren: die Zeilen der Ermutigung, die meine ersten Gedichte begrüßten, die in einer Zeitschrift des Schriftstellerverbandes Timişoara erschienen waren – diesen außergewöhnlichen Moment, wenn jemand aus einem Himmel voller Euter jenes mit deinen Träumen gefüllte auswählt, um seinen Durst und Hunger zu stillen. Es hätte damals gereicht, mich zwischen den noch heißen und nach Druckfarbe riechenden Seiten zu verstecken. Dass es anders lief, beweist die Tatsache, dass sich in mir wieder einmal die Wortkleie entfacht. Ich bin nicht berechtigt zu sagen, ob das Lob verdient oder unverdient war, oder den Lobregen zu verurteilen, der auf den als Mitglied einer literarisch-finanziell-administrativen Genossenschaft verdächtigen Autor fiel. Und ich weiß aus direkter Quelle, dass der Verleger, über den ich rede, nie einer solchen Genossenschaft angehörte. Alles, was ich zu tun wage, ist, mich an eine Rede zu erinnern, die von einem Schriftsteller gehalten wurde, der mir am Herzen liegt:

Ich wollte gelobt und geschätzt werden. Bis ich eines Tages verstand, dass gelobt zu werden eine Art Begräbnis von jemandem ist, der sein Leben noch nicht gelebt hat. Wie kann ich dann die Eifersucht erklären, die den Schriftsteller erfasst, der immer noch glaubt, dass sein „Job“ dem Unglück geschuldet ist, nichts anderes tun zu können als zu schreiben, und nicht den Lobpreisungen oder Anerkennungen, die niemand auf der Welt wirklich einordnen kann in der Rubrik „verdient“ oder – sagen wir – „fällig“? Wir Schriftsteller sind sehr seltsam – wenn Ehrungen von anderen entgegengenommen werden, drehen wir durch: Wir stürzen uns darauf zu behaupten, dass die Lobenden doch irrelevant sind und dass die Gelobten ein Zeichen der Würde setzen würden, wenn sie das Lob ablehnten. Aber wenn dieselben Lobpreisungen oder andere Ehrungen an unsere Tür klopfen, vergessen wir, sie abzulehnen. Wir mögen es, in Lob und Ehre „begraben“ zu werden, sogar bevor wir sterben, aber wir beschweren uns, dass wir zu Unrecht früh wie lebende Leichen behandelt werden. Denken Sie nur: Wenn ein Autor vor seinem Werk stirbt, haben wir es mit einem natürlichen Akt in der Ordnung der Natur zu tun, wenn aber das Werk vor seinem Autor stirbt, haben wir den tragisch-unwiderlegbaren Beweis des Scheiterns. Woher also die Bosheit und der Groll, dessen ein und derselbe Mensch fähig ist, in dem der Schriftsteller den Erfolg doppelt beneidet?

Nun – haben Sie es schon bemerkt? –, seit einiger Zeit fühlt sich unser Verleger sehr müde. Was er sich vorgenommen hat, übersteigt seine Kräfte und er sitzt immer einsamer vor dem Berg von Dingen, die er lösen muss. Wie seltsam: Als Unternehmer so gelobt zu werden, so viele Autoren zu haben, die dabei sein wollen, und dennoch mit den Problemen des Verlags jedes Mal fast allein zu sein …
Vielleicht hätte ich Ihnen das alles nicht erzählt, wenn in einer Ausgabe einer Literaturzeitschrift, die ich sehr respektiere, eine Primadonna der rumänischen Literatur, die auch hier in Deutschland bekannt ist, nämlich Nora Iuga, nach einer Lesung in Reşiţa nicht geschrieben hätte:

Aber eine noch größere Überraschung bereitet uns diesmal der bekannte Verleger Traian Pop Traian, der in seinem Verlag in Deutschland die Spitzenlyrik rumänischer Frauen herausgebracht hat und uns nun eine Collage seines eigenen Schaffens präsentiert, die ich mit Tränen in den Augen und offenem Mund wahrgenommen habe, dazu noch in deutscher Sprache, was er bisher nicht wagte. Und hier eine kleine Kostprobe des großen Dichters: „ist dieser bleierne Flügel alles / was von der Sehnsucht bleibt / die sich aufgemacht hat / ein bisschen frische Luft zu schnappen“. Es ist tatsächlich erstaunlich, dass eine Sprache wie ein geliehener Regenmantel für immer an deiner Garderobe hängen bleibt, damit du ihn zu Hand hast, wenn es zu regnen beginnt …

Uff, wie leicht man aus dem Rahmen fällt, als wüsste man nicht … dass Eigenlob nichts Gutes bringt!

Klarstellung: Der Autor dieses Editorials, der eigentlich mit dem Herausgeber der Zeitschrift identisch ist, wollte den Verleger keineswegs beiseiteschieben. Im Gegenteil, er bot ihm an, ihm zu helfen, indem er versucht, jene Texte aufzuspüren, die seiner Meinung nach nicht allgemein gewünscht, sondern tatsächlich lesenswert sind. Ein Musk-Humanoid würde ihn voraussichtlich auf der Stelle feuern. Da der Herausgeber dieses Magazins jedoch kein Humanoid, sondern ein Mensch ist, und weil unsere Zeitschrift keinem Mäzen oder sonstigen Geldgeber verpflichtet ist, gebe ich dem Autor beträchtliche Chancen bei seinem Kampf mit den Bedürfnissen des Marktes. Nach dem Motto: nicht den Anforderungen des Marktes nachzugeben, sondern den Markt dazu zu bringen, das zu wollen, was ich anbiete.

Unter anderem auch aus folgendem Grund: „Alsbald sollte ich Neuigkeiten erfahren / Die vielleicht diesem Poem / einen höheren Sinn verleihen“, wie Seine Exzellenz Emil Hurezeanu, ein Autor, der übrigens nicht nur die rumänische Gegenwartsdichtung, sondern auch das Land Rumänien als Botschafter vertritt, sein Für jede Jahreszeit von unser Redaktion empfohlenes Gedicht beendet.

„Unter dem Blick / in den Himmel steigender / und fallender Kometen / schluchzt lautlos im vollkommenen Vergessen / das Schweigen – / und daneben die Geschichte, / deren Mund vollgestopft ist mit Sand“ – eine andere Art Schrei von Arevshat Avagyan eröffnet unsere kurze Vorstellung der armenischen Lyrik der Gegenwart. Wachen in Lethargie ist mehr als ein kurzer Spaziergang durch die gegenwärtige Literatur eines Volkes, das sich immer noch allein mit seinem Kampf ums Überleben „arrangieren“ muss, solange auf der Tagesordnung der Großmächte seit über 100 Jahren immer wieder etwas anderes steht. Für jede Menge lebendige Literatur zeugen die Texte von Razmik Davoyan, Henrik Edoyan, Hovhannes Grigoryan („Ich, der Bürger / habe das Recht wie die staatlichen Akteure, / am frühen Morgen aufzuwachen / in der Überzeugung, dass die Mächtigen alles dafür getan haben, / dass die Sonne im Osten aufgeht, / die Wolken sich parallel zum Wind bewegen / und die Vögel vor meinem Fenster singen – / dasselbe Lied, dessen Melodie und Text / auf dem Volksreferendum bestätigt wurde“), Vardan Hakobyan, Davit Hovhannes, Edvard Militonyan, Hrachya Sarukhan, Sevak Aramazd, Gohar Galstyan [„Wir regeln eure Angelegenheiten / (sie werden dann nicht mehr die Euren sein). // Wir ordnen eure Gedanken / (sie werden dann nicht mehr die Euren sein)“], Eduard Harents, Andranik Karapetyan, Khachik Manukyan („Ein Fluch – die Nacht ohne Schlaf nun, / In der es weder Liebe gibt noch Lied … “), Hakob Movses („Ein Stück weiter stand ihr Kind – die Zeit – / Mit einem Schwert in den Händen“) und Ruzanna Voskanyan („Und jeden Abend findet ein kleines Mädchen / In der Zimmerecke in einem Couvert ohne Adresse sein Herz. // Und jeden Abend beginnt die zehnjährige Puppe / Wieder zu lügen und lächelt dein Lächeln …“).

Zum Höhlenkloster Geghard reisen wir begleitet von Wolfgang Schlotts Armenien-Zyklus, um dann nach Deutschland zurückzukehren.

Armin Steigenberger, der herrlich respektlose Dichter aus München, bringt uns wieder in Bedrängnis: „wir vollziehen perspektiven und deren turbulente wechsel“.

Theo Breuer legt hier den zweiten und dritten Essay des insgesamt siebenteiligen Projekts L·i·t·e·r·a·t·o·u·r »22« vor:

„Bücher sind meine Freunde. Und nichts tue ich wohl lieber, als mit diesen Freunden im Sessel zu sitzen und mir erzählen, berichten, schildern zu lassen – in der ihnen jeweils eigenen Sprache. Sprache. Das ist das (numinose …) Phänomen, das ich in allererster Linie in Büchern suche. Nichts gegen Inhalt, Stoff, Motiv, nichts gegen Spannung, Unterhaltung, Vergnügen, nichts gegen Stirnrunzeln, Schmunzeln (usw.). Und so bin ich lebenslänglich auf der Suche nach der ›besondren‹ Sprache, dem ›eignen‹ Ton, dem, was ich so gerne ›Sound‹ nenne.“

„Na, ich will dem künftigen Leser die Spannung nicht nehmen“, schriebt er, nachdem er uns seine Impressionen zu den frisch gelesenen Neuerscheinungen von Jürgen Becker, Harald Gröhler, Norbert Scheuer und Rainer Strobelt mitgeteilt hat. Und weiter:

„Seit Jahren – seit sehr vielen Jahren – schwör ich mir mindestens einmal pro Woche, keine Bücher mehr ins Haus kommen zu lassen. Es gibt doch noch so viele Lebensbuchkandidaten, die der Zweitlektüre harren, flüstre ich mir zu, um gleichzeitig den Blick auf die Bücherwand, vor der ich gerade stehe, zu werfen und mich zu fragen, ob ich etwaige Lücken erkenne. Und schon geht die nächste Bestellung raus. So ging das auch mit den Romanen, die nun alle neune ums Notebook herum verstreut liegen.“ Neunerlei heißt der zweite Essay, der uns mitten in die frisch erschienenen Romane von Lena-Maria Biertimpels Iris Blauensteiner, Wlada Kolosowa, Doris Konradi, Thea Mengeler, Ela Meyer, Sybille Ruge, Rebekka Salm und Julia Weber führt: „Um ganz am Ende zu spüren: Ja, so mag’s gehen, so bleibt es stehen.“

Hier muss ich noch etwas gestehen: Ich bewundere Theo Breuer nicht nur für alles, was er in die deutsche Literaturlandschaft mitgebracht hat, sondern auch für die Art, wie er es als Autor verstanden hat, dem legendären – und dennoch so oft alleingelassenen – ,Verleger Theo Breuer zur Seite zu stehen.

In memoriam des viel zu früh verstorbenen Dichters, Verlegers und Kulturschaffenden Aleksander Nawrocki veröffentlichen wir einige seiner Gedichte, die seiner vorher verstorbenen Frau gewidmet sind. Peter Gehrisch, sein Freund und Übersetzer ins Deutsche, hat uns nicht nur die Gedichte zur Verfügung gestellt, sondern auch einen ergreifenden Nachruf verfasst.

Und nicht zuletzt teilen uns Peter Gehrisch, Sevak Aramazd und Widmar Puhl ihre Eindrücke von frisch gelesenen Büchern mit.

Ich hoffe, trotz meiner Gedanken und Entgleisungen, die eigentlich in keiner direkten Verbindung zu unserer Ausgabe stehen, ein gelungenes Heft hinbekommen zu haben, sodass Sie nach dem Lesen wie Theo Breuer sagen werden:

„Es gibt eine ganze Reihe gängiger Wörter, von denen ich behaupte, sie nicht mehr zu kennen, sie sind aus dem Wortschatz verschwunden. Drum kann ich sie nun auch nicht benennen. Auf der andren Seite gibt es Wörter, die ich liebend gern benutze, um einigermaßen das zum Ausdruck zu bringen, was ich denke, was ich fühle. So schreib ich, z. B., sehr gern: ›Ich bin begeistert‹.“

Ihr
Traian Pop

Emil Hurezeanu • Ein Gedicht für jede Jahreszeit • Arevshat Avagyan • Wachen in Lethargie • Armenische Lyrik der Gegenwart • Razmik Davoyan • Henrik Edoyan • Hovhannes Grigoryan • Vardan Hakobyan • Davit Hovhannes • Edvard Militonyan • Hrachya Sarukhan •Sevak Aramazd • Gohar Galstyan • Edvard Harents • Andranik Karapetyan • Hakob Movses • Ruzanna Voskanyan • Wolfgang Schlott • Armin Steigenberger • Theo Breuer • Aleksander Nawrocki • Peter Gehrisch • Widmar Puhl •Traian Pop Traian • Mark Behrens • Philipp Ammon • Eva Filip • Wolfgang Schlott • Stefanie Golisch • Christoph Kleinhubbert • Harald Gröhler • Ortwin Beisbart • Uli Rothfuss •

Traian Pop • Editorial / S.4

Die Welt und ihre Dichter

Ein Gedicht für jede Jahreszeit
Emil Hurezeanu • Erscheinung mit Frau in Rot / S. 11

Wachen in Lethargie • Armenische Lyrik der Gegenwart
Arevshat Avagyan • Sechs Gedichte / S. 13
Razmik Davoyan • Zwei Gedichte / S. 17
Henrik Edoyan • Sechs Gedichte / S. 23
Hovhannes Grigoryan • Sechs Gedichte / S. 28
Vardan Hakobyan • Sieben Gedichte. / S. 35
Davit Hovhannes • Drei Gedichte / S. 43
Edvard Militonyan • Neun Gedichte / S. 50
Hrachya Sarukhan • Acht Gedichte / S. 61
Sevak Aramazd • Acht Gedichte / S. 67
Gohar Galstyan • Sieben Gedichte / S. 75
Edvard Harents • Zehn Gedichte / S. 81
Andranik Karapetyan • Acht Gedichte / S. 89
Khachik Manukyan • Vier Gedichte / S. 97
Hakob Movses • Zwei Gedichte / S. 101
Ruzanna Voskanyan • Drei Gedichte / S. 105
Wolfgang Schlott • Höhlenkloster Gegard 1976 . Drei Gedichte aus Armenien-Zyklus / S. 109

Armin Steigenberger • Zehn Gedichte / S. 112
Theo Breuer • Literatour »22« . Bericht · Gedicht · Roman · Kurzprosa : Neue Bücher von Becker · Gröhler · Scheuer · Strobelt / S. 122
Theo Breuer • Literatour »22« . Neunerlei . Eine Vermengung : ladylike/ S. 131
Aleksander Nawrocki • Nacht frißt sich in mich hinein . Briefe an die Ehefrau im Jenseits / S. 155
Peter Gehrisch • Nachruf auf Aleksander Nawrocki / S. 178

Bücherregal
Peter Gehrisch • Das gefährdete Gleichgewicht der Welt . Zu Zoltán Böszörményis großem Roman „Weicher Körper der Nacht“ / S. 181
Sevak Aramazd • Tessa Hofmann und Gerayer Koutcharian (Hg.), Todesvision: Eine Hommage an die ermordeten Dichter Armeniens (1915-1945) / S. 186
Widmar Puhl • Martin voin Arndt, Wie wir töten, wie wir sterben. / S. 190

MATRIX 3/2021 (65)_Zeitschrift für Literatur und Kunst

  Was kann ich tun, Gott, um nicht mehr dem nachzuweinen, was war bzw. nicht war oder von dem ich meine, dass es nie sein wird, um mich endlich darauf zu konzentrieren, was mir das Leben bietet – das denke ich gerade und bin sicher: Dieser Gedanke wird nicht so einfach umzusetzen sein.
Irgendwie will ich mit Ihnen meine Freude teilen, die ich am
19. November 2021 im Gerhart-Hauptmann-Haus in Düsseldorf er-
lebt habe. „Sehr geehrte Mitglieder der Jury des Andreas-Gryphius-
Preises, liebe Poesiekollegen, liebe Leser“, so ging es los. „Mamă, tare începe – wow, wie stark“, schreckte ich in der darauf folgenden rheto­rischen Pause während meiner Dankesrede hoch und fuhr fort: „Ich weiß nicht, wie ich die Aufregung ausdrücken soll, die ich empfand, als mich die wundervolle Nachricht erreichte, dass ich in Düsseldorf den Andreas-Gryphius-Preis erhalten werde. Um zu verstehen, was ich empfunden habe, müssen Sie wissen, dass dieser legendäre Preis, benannt nach dem schlesischen Barockdichter – einem vielsprachigen Poeta doctus –, mit dem so bedeutende Autoren wie Reiner Kunze, Rose Ausländer, Siegfried Lenz, Andrzej Szczypiorski oder Jiří Gruša ausgezeichnet wurden, dass dies der erste Literaturpreis ist, der mir in meinem Adoptionsland verliehen wurde.“
„Cu asta s-a aranjat, păi cine mai stă, măi frate, în rând cu Lenz & Co. – damit bin ich etabliert, denn wer, Bruder, reiht sich neben Lenz & Co. ein“, sog ich zusammen mit einer guten Portion frischem Sauerstoff ein, die diesmal echt nötig war, und sprach weiter: „Es stimmt: Ein Literaturpreis allein wird Waffen nie zum Schweigen bringen. Was er aber tut: Er verpflichtet. Mir ist dies bewusst und ich hoffe, die in mich gesetzten Erwartungen nicht zu enttäuschen.“
„Aici chiar că s-a întrecut pe sine – jetzt hat er sich sogar selbst übertroffen“, triumphierte ich kurz, um das Folgende nicht hinauszuzögern: „Diese Auszeichnung widme ich meiner Familie für ihre Geduld und ihr Verständnis sowie den Autoren, Übersetzern, Lek­toren, Redakteuren und Korrektoren, die mit mir konstruktiv
zusammenarbeiten und mit denen ich oft freundschaftlich verbun-
den bin.“
„Klar, denen verdankst du eigentlich alles, was du hast“, machte ich mich klein, um wieder auf den Boden zu kommen. Endlich auf Deutsch und sogar grammatikalisch korrekt, stellte ich fest, während ich von Tränen überwältigt wurde.
So also der Unterzeichner dieses Editorials, damals, als Veranstaltungen noch möglich waren. Denn Corona hat, wie üblich, schon wieder alles auf der Kopf gestellt: Diese Ausgabe sollte schon lange erscheinen, aber seine App zeigte ihm überraschend: „Begegnungen an 1 Tag mit erhöhtem Risiko“. Die Ermüdung scheint seither sein ständiger Begleiter sein zu wollen, man glaubt, der Körper versucht durch Schlaf, Energie aus den alltäglichen Aktivitäten zurückzu­ziehen, um die Abwehrkräfte-Armee zu verstärken.
„Unter diesen Bedingungen schreiben? Alles ist ja vorbei und vergangen, was ich erzählen kann, sogar dieser Traum. Das, was ist, und das, was noch kommen wird, ist kaum zu fassen und zu erzählen! Erzählen ist eigentlich etwas Trauriges, weil der Brunnen der Vergangenheit viel zu tief ist für einen, der den Zugang verpasst hat.“ Das schrieb Dieter Schlesak, nicht ich, auch wenn ich es gerne so formuliert hätte.
Genauso verhält es sich mit den Worten von Christel Wollmann-Fiedler in der Einleitung ihres Interviews mit Eginald Schlattner, weil ich ohne Zögern die Beschreibung des Literaturtourismus unterschreiben könnte, den ich kenne und beispiellos finde nicht nur in Rumänien, sondern in der Welt: „Menschen aus dem Westen Europas und von Übersee, nicht nur deutschsprachige, machen sich auf den Weg, nein, pilgern geradezu ins siebenbürgische Rothberg/Roşia bei Hermannstadt/Sibiu zum Pfarrer und Dichter Eginald Schlattner, zum alten Pfarrhof von 1762 und zu einer der ältesten Kirchen inmitten der Karpaten, der romanischen Basilika aus dem Jahr 1225. Kein siebenbürgischer Schriftsteller, ob hier in Rumänien oder im Ausland, bekommt so viel literarischen Besuch, Ehre und Bewunderung. Nun, seine Bücher werden in vielen Auflagen produziert, in mehrere Sprachen übersetzt und sogar verfilmt.“
Nach Siebenbürgen also laden wir Sie ein, liebe Leserinnen und liebe Leser, zuerst mit einem Auszug aus dem im Sommer 2021 erschienenen Roman Drachenköpfe. Im Folgenden werden dann dessen vielfältige Facetten von nicht weniger als drei Studien auf insgesamt mehr als 43 Seiten beleuchtet:
– „Zu Eginald Schlattners Roman Drachenköpfe (2021) – Eine literarische Replik auf Iris Wolffs Erzählung Drachenhaus“ von Gabriella-Nóra Tar, die in ihrer literarischen Analyse festhält: „Keinesfalls soll übersehen werden, dass der autodiegetische Erzähler in Drachenköpfe nicht nur Pfarrer, sondern vor allem Schriftsteller, d. h.
ein Künstler ist. Im Roman gelten zuerst seine literarische Lektüre, danach sein eigenes literarisches Werk als Medien, die eigene Vergangenheit analytisch bzw. kreativ zu bewältigen und somit implizite auch die rumäniendeutsche Geschichte bzw. Gegenwart zu erschließen.“
– „Ebenso politisch aktuell wie literarisch bedeutsam: Die Überhöhung des Profanen durch das Mythische“ von Christoph Klein, der bilanziert: „Das Buch schließt seltsamerweise mit einem Wort, das Anita Mirjam ihm Jahre zuvor, 1978, auf der Galerie des Pfarrhauses in Semlak zugerufen hatte, zum Abschied, ohne ihm ihr Antlitz zu zeigen. Es heißt wörtlich: ,Ich signierte weiterhin Bücher im wechselnden Licht von Handys, Taschenlampen und Feuerzeugen […].
Und erahnte, was es heißen könnte: ,Du bist für das Antlitz des anderen verantwortlich.‘ […] Ein Wort Mircea Eliades sei am Ende zitiert wie ein Schlüssel: ,… die Wahrheit der Geschichte beginnt … bei der symbolischen Bedeutung der Ereignisse‘ […].“
– „Drachenköpfe. Roman im Kontext der Rehabilitierung des Autors und Siebenbürger Sachsen Eginald Schlattner“ von Rolf L. Willaredt. Zum Schluss seiner Buchbesprechung schreibt Rolf L. Willaredt: „Und wir dürfen ohne Rücksicht auf Textsorten davon ausgehen, dass er [Eginald Schlattner] seit 88 Jahren wie in einem ereignisvollen Roman lebt und diesen in einer Version für uns festhält. Aber Vorsicht, um mit seinen Worten zu sprechen: ,Die Dinge müssen nicht stimmen, aber stimmig sein sollten sie‘ […]. ,Selbst Worte sollten nicht genötigt werden, wahr zu sein, aber wahrhaftig, das ja!‘ […].“
Nach Rothberg ging im Sommer 2021 auch das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. „Mit Eginald Schlattner möchten wir eine große Persönlichkeit Rumäniens aus dem Kulturkreis der deutschen Minderheit für sein Werk und Wirken ehren. Beide, Werk und Wirken Eginald Schlattners, Siebenbürger Sachse, 1933 in Arad geboren, stehen in ihrer umfassenden Botschaft sinnbildlich für Toleranz und gegenseitigen Respekt zwischen den Kulturen und Ethnien des Landes, für Zivilcourage, Prinzipientreue und unermüdliches Eintreten für europäische Werte und historische Wahrheit“ – so die offizielle Begründung des Ordensvorschlags. Wir freuen uns sehr über die Ehrung unseres Autors und bitten Sie, an unserer Freude teilzunehmen. Feiern Sie also zusammen mit dem Laudator Cord Meier-Klodt, damaliger Botschafter Deutschlands in Rumänien, den Autor Eginald Schlattner, der selbst drei Dankesreden gehalten hat in den drei in Siebenbürgen gesprochenen Sprachen: Rumänisch, Deutsch und Ungarisch. Welch eine Bereicherung, so einem Menschen zuzuhören, der Worte für jeden gefunden hat und sich auch in der jeweilige Sprache ausdrücken kann!
Auf Deutsch zum Beispiel: „Oder schlichter, wie etwa Konrad Adenauer befindet: ,Ehrungen, das ist, wenn die Gerechtigkeit ihren liebenswürdigen Tag hat.‘“
Den rumänischen Gästen verriet er u. a. auch, dass er keinen deutschen Pass habe, weil er darauf vertraue, dass Gott genau hier seine schützende Hand über ihn halte: „Întrebat de ce nu am pașaport german – aș putea – răspund: ,Am încredere că bunul Dumnezeu îmi va purta de grijă aici, ca să fiu ocrotit în cele ale vieţii și la moarte.‘“
Den ungarischen Kollegen und Mitbrüdern sagte er u. a.: „Nos, akkor: integráció – igen, asszimiláció – nem. Vagy rövid bibliai megfogalmazásban – a legfőbb parancsolatként: ,Szeresd felebarátodat, mint önmagadat‘“, übersetzt: „Nun denn: Integration – ja, Assimilation –
nein. Oder in einer kurzen biblischen Formulierung – als oberstes Gebot: ,Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.‘“
Isabel Rauscher, die Botschafterin der Republik Österreich in Rumänien, kennt den Weg nach Rothberg schon lange: „Wenn es nicht schon spät geworden wäre und der Anstand es geboten hätte, Ihre Herzlichkeit nicht überzustrapazieren, würde ich heute noch bei Ihnen im Biedermeierfauteuil sitzen!“, gestand Sie bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde an Eginald Schlattner im November 2018 und hob hervor: „Im Namen der ,Spätgeborenen‘, der Generationen, die Ihnen folgten und die uns folgen werden, danke ich Ihnen für Ihre wunderbare Sprache und für die Welt, die Sie durch Ihre Sprache und Ihre Erzählungen erhalten haben. Mittels dieser Sprache vermitteln Sie nicht nur eine gelebte Welt, sondern auch ein ganzes Weltbild; dies in einer Zeit, in der ein solches Weltbild oft nicht mehr als ,cool‘ angesehen wird.“
Isabel Rauscher war natürlich auch diesmal dabei und erlaubte uns, ihre damalige Rede zu veröffentlichen. Vielen Dank dafür! Und nicht nur Ihnen, liebe Frau Rauscher, sondern auch allen anderen, die uns ihre Beiträge zur Verfügung gestellt haben! Wir werden uns bei der nächsten Feier unseres Autors wiedersehen. Gründe gibt es genug. Einer davon ist das Erscheinen seines neuesten Romans Schattenspiele
toter Mädchen. Eine Kostprobe daraus rundet unseren Weg nach Rothberg ab – mit dem Versprechen, bald dorthin zurückzukehren.
„Das Leben ist ein Gespräch / In der Dunkelkammer über Glück, / Die Ränder des Da- und Wegseins“: Von der Weltbühne der Literatur grüßt uns Horst Samson mit einigen Gedichten aus seinem neuesten Lyrikband In der Sprache brennt noch Licht. Lesen Sie dazu auch eine ausführliche Buchbesprechung von Wolfgang Schlott.
Im Essay Der Tod ist groß stellt uns Theo Breuer das Buch Den Toten bewachen / Garder le Mort von Jean-Louis Giovannoni vor.
Mit Elmar Schenkels Erinnerung zu Gustave Flauberts 200. Geburtstag, mit einem Text des klassischen georgischen Autors Egnate Ninoschwili und mit einem Essay über dieses Werk sowie mit Peter Frömmigs Gedanken Zum Leben und Schreiben von Pablo Neruda, der sich „zugehörig den Leuten ohne Schule und Schuhe“ sah, hoffen wir,
Ihr Interesse an einigen Leuchttürmen der Literatur wachzuhalten. Aus den Beständen der Weltliteratur haben wir für Sie außerdem Gedichte von Benedikt Dyrlich ausgewählt.
Unser Bücherregal ergänzt die Liste der Buchbesprechungen mit neuen Rezensionen von Harald Gröhler, Wolfgang Schlott, Mark Behrens, Wolfgang Fehse und Widmar Puhl.
„Die Verkennbare. Nach einem Jahr Pause hat die Frankfurter Buchmesse wieder stattgefunden. Hat sie?“, fragt sich Ewart Reder nach seinem Besuch und erzählt uns, was er erlebt hat.
„WAS BLEIBT NOCH VON MIR
nichts als ein Satz / gut beziffert
hier / aus-geschrieben von einer Hand
wie deiner“
So setzt diese Ausgabe ein. Mit einem der besten Dichter Siebenbürgens und des deutschen Sprachraumes: Dieter Schlesak. Beginnen Sie einfach zu lesen. Es lohnt sich. Und glauben Sie mir bitte, das Heft ist aktuell, auch wenn es verspätet erscheint.
Ihr
Traian Pop

• Eginald Schlattner • Auf dem Weg zum Rothberger Pfarrer und Dichter •  Christel Wollmann-Fiedler • Gabriella-Nóra Tar • Cord Meier-Klodt • Christoph Klein • Isabel Rauscher • Rolf L. Willaredt • Horst Samson • Theo Breuer • Elmar Schenkel • Egnate Ninoschwili • Bela Tsipuria • Peter Frömmig • Benedikt Dyrlich • Harald Gröhler • Wolfgang Schlott • Mark Behrens • Wolfgang Fehse • Widmar Puhl • Ewart Reder • Traian Pop •

Inhalt

Traian Pop • Editorial / S. 4

Die Welt und ihre Dichter
Ein Gedicht für jede Jahreszeit
Dieter Schlesak • Was bleibt noch von mir / S. 9
Dieter Schlesak • Nichtzeit . Auszug aus dem posthum erschienenen Roman Das Narbenwahre und die Kunst der Rückkehr / S. 11
Auf dem Weg zum Pfarrer und Dichter Eginald Schlattner
Eginald Schlattner • Die Zwirngasse . Auszug aus dem Roman Drachenköpfe / S. 21
Christel Wollmann-Fiedler • Mein Sommertag in Rothberg . Ein Gespräch mit dem Pfarrer und Schriftsteller Dr. h.c. Eginald Schlattner / S. 29
Gabriella-Nóra Tar • Zu Eginald Schlattners Roman Drachenköpfe (2021) – Eine literarische Replik auf Iris Wolffs Erzählung Drachenhaus / S. 41
Christoph Klein • Ebenso politisch aktuell wie literarisch bedeutsam: Die Überhöhung des Profanen durch das Mythische / S. 57
Cord Meier-Klodt • Laudatio / S. 69
Eginald Schlattner • Insignien in Siebenbürgen / S. 73
Eginald Schlattner • Gedanken zur Rede der Ordensverleihung – 24.6.2021, Deutsches Konsulat, Hermannstadt / S. 78
Eginald Schlattner • Cuvântarea cu ocazia decernării distincţiei Crucea de merit în rang de cavaler al Ordinului de merit al Republicii Federale Germania, 24.6.2021, Consulat, Sibiu / S. 83
Eginald Schlattner • Eginald Schlattner lelkész, Veresmarti lelkészlak, 2021. június 21 . Eginald Schlattner erdélyi szász lelkészíró magyar nyelvű beszéde a Német Szövetségi Köztársaság Érdemkeresztjének nagyszebeni átadása alkalmából / S. 86
Isabel Rauscher • Wenn es nicht schon spät geworden wäre und der Anstand es geboten hätte, Ihre Herzlichkeit nicht überzustrapazieren, würde ich heute noch bei Ihnen im Biedermeierfauteuil sitzen! / S. 88
Eginald Schlattner • Till Eulenspiegel und die Hampelleute . Auszug aus dem neuen Roman Schattenspiele toter Mädchen / S. 91
Rolf L. Willaredt • Drachenköpfe. Roman im Kontext der Reha­-
bilitierung des Autors und Siebenbürger Sachsen Eginald
Schlattner / S. 103

Horst Samson • Dreizehn Gedichte / S. 119
Theo Breuer • Der Tod ist groß … . Essay / S. 132
Elmar Schenkel • „Ich bin Mystiker und glaube an nichts“. Eine Erinnerung zu Gustave Flauberts 200. Geburtstag / S. 135
Egnate Ninoschwili • Der See von Paliastomi . Prosa / S. 139
Bela Tsipuria • Ein neues Leben für die Erzählungen von Egnate Ninoschwili / S. 158
Peter Frömmig • Verwurzelt und weltoffen . Zum Leben und Schreiben von Pablo Neruda (1904–1973) / S. 173
Benedikt Dyrlich • Sieben Gedichte / S. 177

Bücherregal
Harald Gröhler • Über Milan Hrabals Gedichtbuch Wenn die Fische davonfliegen / S. 184
Wolfgang Schlott • Über Horst Samsons Gedichtbuch In der
Sprache brennt noch Licht / S. 187
Wolfgang Schlott • Über Petru Ilieșus Gedichtbuch Rumänien. Postskriptum. Romania. Post Scriptum / S. 190
Mark Behrens • Über Henry David Thoreaus Buch Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat / S. 193
Wolfgang Fehse • Über Harald Gröhlers Buch Astreines Alibi / S. 195
Widmar Puhl • Über Wolfgang Schlotts Buch Kriminelles und Abwegiges. Skurrile Erzählungen / S. 197

Aus der Kulturszene
Ewart Reder • Die Verkennbare . Nach einem Jahr Pause hat die Frankfurter Buchmesse wieder stattgefunden. Hat sie? / S. 199

MATRIX 1/2021 (63)

MATRIX 1/2021 (63)

Zeitschrift für Literatur und Kunst

Die Tage werden länger, trotz des Virus, trotz allem, was vor, auf den Treppen und im Parlamentsgebäude „der größten Demokratie, die der Planet seit seiner Existenz kennt“, passiert ist. Ja, nur wenige hätten gedacht, dass die Demokratie solch ein Kleid zur Schau tragen kann.
Ich, der vor 32 Jahren die Chance bekommen hat, eine Demokratie auf der eigenen Haut zu spüren, bin dankbar für die Geschenke, die mir das Land gemacht hat, wo einige Vorfahren der Mutter meiner Kinder geboren wurden – selbst wenn ich immer wieder erzählen muss, woher ich komme, selbst wenn einige Gutmenschen unermüdlich versuchen, mich für die Taten mancher ehemaliger „Landsleute“, mit denen ich nie zu tun gehabt habe, verantwortlich zu machen. Ich muss Glück in diesem Land gehabt haben, von dem ich – wie viele andere heutzutage noch – dachte, dass auf der Straße Milch und Honig fließen.
Doch nach dem, was ich vor Kurzem im Fernsehen gesehen habe, muss ich zugeben: Die Demokratie, von der ich träumte, fließt leider auch nicht auf der Straße.
Die Intoleranz, die jede Meinung unterdrückt, die nicht mit der eigenen übereinstimmt – dieses „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“, das mich vor mehr als 30 Jahren zum Exil verurteilt hat –, erschreckt mich heute genauso wie damals. Egal ob es in der Sprache des Landes, das mich aufgenommen hat, oder in der Sprache „der größten Demokratie, die der Planet seit seiner Existenz kennt“, geäußert wird.
Nicht nur die Bilder, die vor, auf den Treppen und im Parlamentsgebäude „der größten Demokratie, die der Planet seit seiner Existenz kennt“, gedreht wurden, erschrecken mich, sondern vor allem die Versammlung unterschiedlicher Strömungen, in denen keiner einen anderen Standpunkt tolerieren und jede Gruppierung ihre eigene „Wahrheit“ durchsetzen will, koste es, was es wolle.
Die in den Universitäten geborene politische Korrektheit, die gerade von jenen, die noch nie eine Universität von innen gesehen haben, mit Beschlag belegt wurde, ist zu Exzessen eskaliert, von denen manch ein gefürchteter Diktator nur träumen konnte. Initiativen, die zunächst unbestreitbare Ungerechtigkeiten zu parieren versuchten, haben noch mehr Ungerechtigkeiten produziert. Es wird eine einzige Wahrheit reklamiert, an die niemand rühren darf, und diejenigen, die andere Meinungen vertreten, werden eingeschüchtert, ausgegrenzt, wenn nicht ausgeschlossen. Der ursprünglich gerechtfertigte Widerstand gegen Rassismus, Sexismus, Homophobie, Transphobie, Fremdenfeindlichkeit und andere Ausgrenzungen hat sich zur Hexenjagd entwickelt. Die Idee der Vielfalt hat es geschafft zu teilen, statt zu vereinen! Die Plattform Cancel Culture ging so weit, sogar ein Verbot von Shakespeare zu fordern, weil seine Schriften „farbigen Studenten gegenüber feindlich“ seien, um nur ein Beispiel zu nennen. Leuchttürme der universellen Kultur wurden plötzlich zur persona non grata, weil sie das Pech hatten, männlich und – was für eine Unverschämtheit! – weiß zu sein. Gerechte Bewegungen, die friedlich begannen, etwa Black Lives Matter, mündeten in Gewalt. Auch die Wortwahl sollte in der freien Welt eingeschränkt und Wörter wie „Mutter“, „Vater“, „Bruder“, „Schwester“ aus dem Wortschatz gestrichen werden, um die Sensibilität derer nicht zu verletzen, die sich in ihnen nicht erkennen: die Diktatur des Neutrums. Und was ist dann mit denen, die sich in den verbotenen Wörtern erkennen? Das hört sich genauso an wie zu jenen Zeiten, die ich nie wieder erleben wollte. Ich hätte nicht gedacht, die finsteren stalinistischen Ideen nach Jahren in der freien Welt wieder anzutreffen! Ich hatte vielmehr gedacht, das Paradies auf Erden entdeckt zu haben. Und nun frage ich mich, wer oder was niedergerissen wird. Die Freiheitsstatue selbst? Und von wem? Von Linksextremisten, von Rechtsextremisten? Von ihren vereinten Kräften?
„Nachrichten zu verfolgen ist wie ein gute Portion Gift zu schlucken“, das sage ich immer öfter. Wem nützt es, zu wiederholen, was jeder in den neuesten Nachrichten gesehen hat? Wem hilft es, wenn ich mitteile, wie ich mich fühle? Wer versteht diese allgemeine Kakophonie? Welche Handlungen sind notwendig und gerecht, welche destruktiv und absurd?
Allerdings ist mir bewusst, dass es im Laufe der Geschichte schon immer Hass, Korruption und Gewalt gegeben hat; genauso wie die Tatsache, dass trotz unbeschreiblicher Spannungen und Feindseligkeiten das Leben weitergegangen ist. Sollte das die Lehre aus der Geschichte sein? Tun wir weiterhin so, als würde das alles nicht passieren?
Um keine voreilige Antwort zu geben, schlage ich zunächst vor, unter den Nachrichten des Tages auch etwas Erfreuliches zu suchen. Und wenn da nichts zu finden ist, suchen Sie bitte in sich selbst: etwas, von dem Sie sicher sind, dass es existiert – sogar in diesen verrückten Zeiten, in denen wir vor allem Antworten auf Fragen wollen, auf die wir keine Antworten bekommen können. Ich habe jedoch das Gefühl, dass trotz der verstörenden Situation des Augenblicks und im Gegensatz dazu dieses „wunderbare Ding“ neben uns ist, vielleicht in uns, aber das Problem besteht darin, dass wir uns zu weit davon entfernt haben, um es wahrzunehmen …
Ich habe es probiert. Ich, der nicht geglaubt hat, dass in der Demokratie ein Gabelstaplerfahrer besser lebt als ein Ingenieur in der Diktatur. Ich, der nie gedacht hätte, ein Editorial in einer anderen Sprache als meiner Muttersprache zu schreiben und Autoren in einer Sprache zu veröffentlichen, die ich erst als Erwachsener lernen musste. Ich habe es probiert und probiere weiterhin, mir beizubringen, meine „wunderbare Seite“ zu entdecken und sie Ihnen zu schenken. Denn ohne Sie hat meine „wunderbare Seite“ keinen Sinn. Ich selbst habe nur dank der vielen „guten Seiten“ überlebt, die ich bisher geschenkt bekommen habe. Eine davon ist der glückliche Zufall, dass ich einen Autor kennengelernt habe, der vor einigen Tagen siebzig geworden ist.

Eigentlich wollte ich ein Editorial schreiben, in dem ich nichts und niemanden kritisiere, sondern unserem Geburtstagskind , dem Schriftsteller Johann Lippet, gratuliere. Vor allem weil ich ihn bewundere, wie er es geschafft hat, (s)eine Ecke der Welt voller eigener Gedanken und Erinnerungen zu leben und zu verewigen und gleichzeitig uns, seine Leser, zu glücklichen Teilhabern zu machen. Danke, lieber Johann Lippet, für dein Stück Welt, aus dem die Einfachheit und die Natürlichkeit noch nicht verschwunden sind.
„Im Gesamtwerk des Schriftstellers blieben das Banat und das Schicksal seiner Menschen bis zum jüngsten Buch („Franz, Franzi, Francisc“, Romanfragment) ein Leitthema.“ So Luzian Geier über den gefeierten Schriftsteller-Chronisten der Banater Gemeinschaft.
„Johann Lippet“, schreibt Horst Samson, „ist der Chronist des Alltagslebens der Banater Schwaben in der Banater Heide. Sein genauer und kenntnisreicher Blick auf diesen Landstrich, auf die Dörfer und Menschen, ihren Alltag und ihre Erlebnisse in geschichtsträchtigen Vernetzungen mit und in ihren dörflichen Gemeinschaften werden virtuos und im sprachlich authentischen Kolorit erzählt, dokumentarisch verlässlich beschrieben und exemplarisch am Beispiel seiner Heimatgemeinde Wiseschdia literarisch reizvoll verortet.“
Theo Breuer erkennt in Johann Lippets Banat-Büchern literarische Werke, „die verloren gegangener H∙e∙i∙m∙a∙t ein Denk-, Ehren-, Mahnmal setzen“, und hebt die fundamentale Bedeutung „des letzten Satzes des 789 Seiten umfassenden Buchs mit dem bezeichnenden Titel Dorfchronik, ein Roman hervor: Im Grunde genommen erscheint uns jetzt die Wirklichkeit, von der wir erzählt haben, sowieso nur noch als Fundgrube für Fiktion.“
„ich, johann lippet, bin nur indirekt aus dem banat“, schrieb der Autor in der 1980 in Rumänien veröffentlichten und sehr geschätzten biographie. ein muster. Lesen Sie ab Seite 17 einen Auszug daraus, der erstmals in Deutschland erscheint:
„Und weiter: Ich kehre immer wieder zurück. Wie der Täter an den Tatort. Der Vergleich hinkt, ich weiß, es fühlt sich aber so an. (…)
Und ich erinnere mich an Wintermorgen. Wir Kinder liegen bei geöffnetem Fenster in den Betten im hinteren Zimmer, die Tuchent bis unters Kinn gezogen, und wenn dann Mutter, die von der Küche aus den dicken Ofen im Zimmer angeschürt hat, das Fenster wieder schließt, ist die wohlige Wärme, die der Ofen ausstrahlt, regelrecht zu riechen.
Allein schon wegen dieser unvergleichlichen Wärme und dem damit verbundenen Gefühl von Geborgenheit werde ich immer wieder zurückkehren.“
Die „Phantome der Erinnerung“, die sich zwischen diesen zwei Aussagen Johann Lippets bewegen, können Sie auch als Premiere ab Seite 33 lesen. Um ein umfassenderes Bild von seinem Werk zu bekommen, haben wir für Sie einige seiner Gedichte ausgewählt, die in den 70er- und 80er-Jahren in Rumänien entstanden sind. Horst Samson, dem wir nicht nur diese Auswahl, sondern auch die meisten Fotografien dieser Ausgabe verdanken, widmet dem Zelebrierten eines seiner letzten Gedichte.

Selbstverständlich fanden wir, dass eine Ausgabe, die dem „Chronisten des Alltagslebens der Banater Schwaben“ gewidmet ist, mit einem der besten Texte eröffnet werden soll, die der Autor dieses Editorials je über das Banat gelesen hat: dem Gedicht „Banater Elegie“ von Johann Lippets „Aktionsgruppe“-Kollegen und Freund Richard Wagner.

Als ich weiter oben versucht habe, Ihnen den Schwerpunkt dieser Ausgabe vorzustellen, wagte ich die Aussage: „Nachrichten zu verfolgen ist wie ein gute Portion Gift zu schlucken.“ Nun muss ich allerdings zurückrudern: Das trifft nicht immer zu. Mindestens ein Wunder ist in letzter Zeit geschehen: Es gibt viel früher als gehofft die Impfung! Die Impfung, die nach Maskulinum oder Neutrum klingt und tatsächlich so weiblich ist, verspricht, uns allen zu helfen. Ist das nicht wunderbar? Ich weiß nicht, wie Sie dazu stehen, aber ich brauchte so eine Nachricht.

Nun kann ich ruhig weitermachen, um unsere Ausgabe fertigzubekommen. MATRIX stellt Ihnen auch Gedichte von Amiran Swimonischwili (Paco) im Original (georgisch) und in deutscher Übertragung vor sowie Erinnerungen an seine Seltsamkeit, an seine herausragende Originalität, die in keiner Weise in Verbindung zu seinem Dichten stand.
Klaus Martens präsentiert diesmal nicht nur einige seiner neuesten Gedichte, sondern eröffnet auch unsere Recherche „Was wurde uns allen als Bürde mit auf den Weg gegeben? Wie viel davon wollen und können wir tragen?“ Auf ihn folgt Wendel Schäfer, der empfiehlt, dass wir uns kein Buch verbieten lassen.
Über Robert Musil und seinen Mann ohne Eigenschaften trauen sich nicht sehr viele Leser zu sprechen. Ulrich Bergmann tut es, und zwar im Sinne des Romans, was heißt, dass in seinem Essay noch viele Türchen offen bleiben, trotz der respektablen Länge.
Benedikt Dyrlich zeigt uns eine Facette Roms aus dem Jahr 1983, geträumt durch das DDR-Fenster und gesehen durch die DDR-Sonnenbrille.
Und Edith Ottschofski nimmt uns mit in die Berliner S-Bahn, während sie Gedichte schreibt.
Die Rezensenten haben diesmal weniger Platz zur Verfügung. Ihre Leseeindrücke teilen Barbara Zeizinger, Uli Rothfuss und Matthias Buth mit.
Vielen Dank auch an Literaturport.de, wo unsere Zeitschrift aufgenommen wurde. Es war nicht einfach und ich hoffe, dass die Freude nicht nur unsererseits ist, sondern auch seitens derer, die das Portal verwalten oder sich dort informieren. Dieser Erfolg ehrt und verpflichtet uns gleichzeitig. Und Sie, liebe Leserinnen und Leser, haben nur zu gewinnen.

Ihr Traian Pop

• Richard Wagner • Luzian Geier • Johann Lippet • Horst Samson • Amiran Swimonischwili (Pako) • Beka Kurchuli • Klaus Martens • Wendel Schäfer • Ulrich Bergmann  • Edith Ottschofski • Barbara Zeizinger • Uli Rothfuss • Matthias Buth •

Inhalt

Traian Pop • Editorial / S.3

Die Welt und ihre Dichter
Ein Gedicht für jede Jahreszeit
Richard Wagner • Banater Elegie / S. 9
biographie. ein muster • Johann Lippet zum 70.ten
Luzian Geier • Schriftsteller-Chronist seiner Banater Gemeinschaft . Der Autor Johann Lippet wurde 70 / S. 13
Johann Lippet • biographie. ein muster . ein Banater Schwaben-Epos aus den 80er jahre / S. 17
Johann Lippet • Phantome der Erinnerung / S. 33
Horst Samson • Allegorie . Ein Gedicht für Johann Lippet / S. 86
Johann Lippet • Frühe Gedichte . Die 70er und 80er Jahre in Rumänien. . Eine Text-Auswahl von Horst Samson / S. 89
Amiran Swimonischwili (Pako) • Fünf Gedichte in Original (georgisch) und in deutscher Übertragung / S. 122
Beka Kurchuli • Pako . Erinnerungen eines Freundes / S. 133
Klaus Martens • Fünfzehn Gedichte / S. 139

Zeitgeschichte
Was und wie viel wurde bzw. wird uns täglich mit auf den Weg gegeben? Was und wie viel davon wollen und können wir tragen bzw. ertragen?
Traian Pop • Ich wage es… / S. 154
Klaus Martens • (Er) hatte die Wahl zwischen den Kommunisten und den Nazis gehabt. Letztere hatten wohl die schickeren Mützen. / S. 155
Wendel Schäfer • Lasst euch kein Buch verbieten / S. 161
Ulrich Bergmann • Der Mann ohne Eigenschaften – eine Utopie?/ S. 163
Benedikt Dyrlich • Mein Italien 1983 / S. 185

Atelier
Edith Ottschofski • saumselige annäherung . Acht U-Bahn gedichte. / S. 199
Bücherregal
Barbara Zeizinger • Andreas Kossert, Flucht. Eine Menschheitsgeschichte / S. 206
Uli Rothfuss • Harald Gröhler, Frischer Schnee / S. 209
Matthias Buth • Jürgen Brôcan, Ritzelwellen / S. 211

 

MATRIX 4/2020 (62)

MATRIX 4/2020 (62)

Zeitschrift für Literatur und Kunst

Liebe MATRIX,

wir stehen am Scheideweg: Du hast mir das ein paar Mal zu verstehen gegeben, und ich habe letzte Nacht geträumt, dass du vieles Gewohnte ändern willst. Bevor wir darüber sprechen, was wir unternehmen werden, wage ich es, dich nach deiner Einschätzung des bisher Erreichten zu fragen.
Diese verspätete Ausgabe des Magazins ist eine ganz normale Nummer, die das Vorhaben des Chefredakteurs und des Teams umsetzt: nicht mehr und nicht weniger, als auf Literatur aufmerksam zu machen. Und das Stichwort „Qualität“ würde ich hinzufügen – wenn wir nicht wüssten, wie viele Fallen sich hinter diesem Wort verstecken. Das 2005 geborene Magazin ist seiner definierten Zielsetzung treu geblieben: Matrix – Zeitschrift für Literatur und Kunst ist der europäischen Idee verpflichtet. Sie will einem deutschsprachigen Publikum nicht nur das literarische und kulturelle Leben in Deutschland, sondern auch die vielfältigen Möglichkeiten von Kultur, Sprache und Literatur des europäischen Kontinents wie der ganzen Welt nahebringen.
Wie viel davon spiegelt sich in der aktuellen Ausgabe wider?
Hoffentlich alles: von dem Schneefall, dem niemand Einhalt gebieten kann – der scheint Traian Pop Traian fast so viel zu schaffen gemacht zu haben wie jenen, die an der Schneeräumung beteiligt waren –, über das Minipanorama englischsprachiger Dichtung aus Nordamerika (Stephen Dunn, Billy Collins, Marilyn Nelson, Lucille Clifton, Dereck Walcott, Ted Kooser, Peter Johnson, Marnie Walsh, Bob Hicock und Mary Oliver im Original und in deutscher Übertragung von Stefanie Golisch) bis zu drei Corona Pictures bzw. sechs neuen Gedichten von Peter Frömmig sowie Matthias Buths inspiriertem Kommentar 55 Stimmen aus der Welt der Poesie zum Band Mit den Augen von Zeitgenossen. Erinnerungen an Paul Celan, der kürzlich im Suhrkamp Verlag erschienen ist.
Wie verläuft ein Tag, nennen wir ihn „normal“, aus deiner Perspektive?
Lang und holprig. Voller Hoffnungen und Enttäuschungen. Und Vorwürfen. Diejenigen, die mir einen Namen verschafft haben, sind sowohl Schriftsteller als auch Herausgeber, haben allerdings seit Jahren einen regulären Job, um über die Runden zu kommen. Mein Redakteur ist ein Frühaufsteher, er weckt mich meist sehr früh. Wenn er mich verlässt, um an seinem Roman zu arbeiten, den er vor einer Ewigkeit begonnen hat, macht er sich Vorwürfe, weil er sich eher um mich kümmern sollte, und wenn er zu mir zurückkehrt, spüre ich seine Traurigkeit, dass er die Arbeit am Roman liegen lassen musste. Abends bin ich dann betrübt, wenn ich merke, dass ein weiterer Tag vergangen ist, an dem er alles um sich herum völlig vergessen hat – von seiner Familie bis zu den „pathophysiologischen“ Bedürfnissen (wie er sich selbstironisch dazu äußert), die er ständig ignoriert.
Und ein „nicht normaler“ Tag?
Einer, an dem ich mir selbst überlassen bin. Das passiert normalerweise, wenn eine Ausgabe gerade in den Druck gegangen ist. Die ganze Redaktion atmet erleichtert auf. Nur einer gerät ohne Ausnahme in Panik, da ab diesem Zeitpunkt nichts mehr zu ändern bzw. zu korrigieren ist. Er gibt sich zwar ruhig und gelassen, aber mich kann er nicht täuschen. Nach so vielen gemeinsamen Jahren steigt auch mein Blutdruck – nicht nur wenn er vergisst, seine Medikamente einzunehmen. Denn viermal im Jahr macht er mich mit dem bloßen Gedanken, dass irgendein Fehler unentdeckt geblieben sein könnte, verrückt.
Wie hast du dich entschieden, ein Literaturmagazin zu werden?
Es ist schwer und schön zugleich, Schriftsteller und Redakteur zu sein, doch es ist genauso schwer, als wahrhaftige Zeitschrift nicht nur an Glanzleistungen, sondern auch an Anmaßungen und Frustrationen beteiligt zu sein, als würde dir ein Nachbar von oben einen Eimer Spülwasser über den Kopf kippen, wenn du dich gerade ausgehfein gemacht hast. Die Entscheidung, eine Zeitschrift – noch schlimmer: eine literarische – zu werden, ähnelt der Entscheidung, ein wildes Pferd zu reiten, das deinen Weg kreuzt und dem es dir wie durch ein Wunder auf den Rücken zu springen gelingt. Die Freude hält aber nur kurz an: Es fängt sofort an zu bocken, um dich loszuwerden. Doch nach einer Weile beruhigt es sich und scheint dir sogar ergeben und dankbar zu sein. Du fühlst dich wie ein Gewinner und denkst, dass es immer so bleiben wird. Was dir natürlich niemand garantieren kann. Nicht einmal, dass es ein „nächstes Mal“ geben wird.
Kann eine Zeitschrift, speziell eine literarische, die Welt verändern?
Die Welt verändern? Kann überhaupt jemand die Welt verändern? Und will jemand das tatsächlich? Hm, eine Literaturzeitschrift ist kein politisches Programm. Das kann man natürlich auch anders sehen. Literatur mit allem, was sie um sich sammelt, spricht nicht nur den Menschen als Individuum an, sondern auch den Menschen, der mehr oder weniger bewusst an einer Gesellschaft teilhat. Das Individuelle und das Gesellschaftspolitische können nicht getrennt voneinander existieren. Was bedeutet es wirklich, ein Mensch zu sein? Welche moralische Verantwortung – wenn überhaupt – tragen wir auf unseren Schultern? Die Aufgabe des Schriftstellers ist es, den Leser zu zwingen hinzuschauen, wo er dies normalerweise ablehnt. Eine Nachrichtenredaktion achtet darauf, dem Leser nicht mehr zuzumuten, als er verkraften kann: Wenn er in den Zug steigt und pünktlich am Reiseziel ankommt, hat die Zeitung ihre Pflicht erfüllt. Doch Literatur ist etwas anderes: Sie hat ihre Pflicht erst dann erfüllt, wenn der Leser in den Zug steigt und früher oder später an einem ganz anderen Ort eintrifft – das Unerwartete, das den Reiz des Lebens und der Literatur ausmacht.
Wie kam es zum Erscheinen dieses Magazins?
Ich möchte dieser Frage am liebsten ausweichen. Auf jeden Fall hat jener, der mich ins Leben rief, es nicht – wie empfohlen – laut einer Marktumfrage oder Studie zu einem profitablen Geschäft getan. Und seine Entscheidung wurde auch nicht infolge eines Lottogewinns oder eines über Nacht vom Himmel gefallenen Erbes getroffen. Deshalb täte es mir schrecklich leid, wenn jemand verärgert reagieren würde, weil ich ihn verführt habe.
Auf deinen Seiten gibt es Freude und Leid, Gut und Böse, Licht und Dunkelheit. Wie ist es deiner Meinung nach um die Seele des Schriftstellers bestellt?
Genau wie um die Seele jedes anderen Menschen, gestern wie heute.
Was ist das Schlimmste, das deine Seiten zu ertragen hatten?
Ich bin mehrmals von Autoren getäuscht worden, die hinter dem Schutzschild von Gerechtigkeits- und Wahrheitsliebe Hass verbreitet haben. Die Aufstachelung zum Hass nützt weder dem Anstifter noch dem Gegenstand des Hasses. Zwar stimmt es: Qui s’aime se taquine! Doch immer vorausgesetzt, dass die Liebe Liebe bleibt. Wenn sie aber zum Schutzschild verkommt, dann entstehen Monster. Und die haben weder Literatur noch Geschichte nötig. Was sie natürlich nicht daran hindert, weiter zu existieren und sogar Bewunderer zu finden.
Welchen Autor würdest du veröffentlichen, ohne seinen Text vorher zu lesen?
Alle Autoren, an die ich glaube. Das Versagen eines wahrhaften Autors bringt mehr als der Erfolg eines hochgelobten Schreibers. Und darin liegt das Problem. Wer echt und wer unbedeutend ist, entscheiden nicht die Leser, Juroren oder Verleger. Nur die Grande Dame Literatur entscheidet. Stell bitte ihr die Frage, wenn du dich traust!
Beziehst du dich dabei auch auf Autoren dieser Ausgabe?
Nicht nur, sondern auch. Ich überlasse es den Lesern, sie zu entdecken.
Was würdest du den Lesern noch über das aktuelle Magazin berichten?
Die Königin der Literatur, die Poesie, ist nicht nur durch die eingangs genannten Autoren vertreten, sondern auch durch Charlotte Ueckert, Ines Hagemeyer und Doru Eugen Popin. Karl Wolff kehrt mit Aldi-Texten zurück. Mit traumwandlerischer (poetisch grundierter) ‚Sicherheit‘ bewegt sich Werner K. Bliß in Theo Breuers Zettelraum, taucht ein in die Tiefe der Gedichte des anläßlich Paul Celans hundertstem Geburtstag erschienenen Gedichtbuchs nicht weniger nicht mehr. Ioona Rauschan und Hans Lindemann verbergen sich hinter ihren Texten und lächeln uns von dort aus an. Die Literatur-Nobelpreisträgerin von 2020, die US-amerikanische Dichterin Louise Glück mit ungarisch-jüdischen Wurzeln, sagte nach Bekanntgabe ihrer Auszeichnung, sie lebe in ihren Büchern; mit diesen sei sie gerne zusammen. Das klingt weise und bitter zugleich, findet Matthias Buth. Hans Dama kämpft immer noch mit der rücksichtslosen Geschichte, die oft vergisst, aus Erfahrungen zu lernen. Manfred Pricha, Rainer Wedler, Cornelius Scherg und Ulrich Bergmann erlauben uns, einen Blick auf ihren Schreibtisch zu werfen. Widmar Puhl, Peter Frömmig, Wolfgang Schlott, Uli Rothfuss und Matthias Buth teilen ihre Ansichten zu den neu erschienenen Büchern von Philip Reeve, Philipp Blom, Rachilde, David Grossman und Iris Wolff. Matthias Buth empfiehlt außerdem, wie bereits erwähnt, die von Herausgeber Petro Rychlo gesammelten 55 Erinnerungen an Paul Celan.
Und was bietet die nächste Ausgabe?
Was wurde uns allen als Bürde mit auf den Weg gegeben? Wie viel davon wollen und können wir tragen? Auf diese Fragen antworten Autoren mit den unterschiedlichsten historischen Erfahrungen. Los geht’s im nächsten Heft. Mehr möchte ich nicht verraten.
Noch ein Schlusswort?
Ich hoffe, die Leser werden mir bessere Fragen stellen!
Für Sie aufgezeichnet von
Traian Pop

• Peter Frömmig • Traian Pop Traian • Margaret Atwood • Stephen Dunn • Billy Collins • Marilyn Nelson • Lucille Clifton • Derek Walcott • Ted Kooser • Peter Johnson • Marnie Walsh • Bob Hicock • Mary Oliver • Transatlantische Stimmen • Stefanie Golisch • Charlotte Ueckert • Ines Hagemeyer • Doru Eugen Popin • Karl Wolff • Werner K. Bliß • Matthias Buth • Ioona Rauschan • • Hans Lindemann • Hans Dama • Rainer Wedler • Manfred Pricha • Cornelius Scherg • Ulrich Bergmann • Widmar Puhl • Wolfgang Schlott • Uli Rothfuss • Barbara Zeizinger • Traian Pop • Widmar Puhl • Wolfgang Schlott • 

Inhalt

Traian Pop • Liebe MATRIX . Editorial / S.4

Die Welt und ihre Dichter

Ein Gedicht für den Winter
Traian Pop Traian • Der letzte Schnee / S. 7

Transatlantische Stimmen
(Übertragung von Stefanie Golisch)
Margaret Atwood • Game after supper / Spiel nach dem Abendbrot / S. 10
Stephen Dunn • The Routine Things Around the House / Häusliche Routine / S. 12
Stephen Dunn • The party to which you are not invited / Die Party, zu der du nicht eingeladen bist / S. 16
Billy Collins • Taking Off Emily Dickinson’s Clothes / Emily Dickinson entkleiden / S. 20
Billy Collins • Aimless Love / Ziellose Liebe / S. 24
Marilyn Nelson • How I Discovered Poetry / Wie ich die Poesie entdeckte / S. 28
Lucille Clifton • won’t you celebrate with me / wollt ihr nicht mit mir feiern / S. 30
Derek Walcott • Love after Love / Liebe nach der Liebe / S. 32
Ted Kooser • Selecting A Reader / Eine Leserin aussuchen / S. 34
Peter Johnson • Pretty happy / Ziemlich glücklich / S. 36
Marnie Walsh • Bessie Dreaming Bear Rosebud, So. Dak., 1960 / Bessie Dreaming Bear Rosebud, So. Dak., 1960 / S. 38
Bob Hicock • Man of the House / Hausmann / S. 40
Mary Oliver • Wild Geese / Wildgänse / S. 42

Peter Frömmig • Corona Pictures / S. 44
Peter Frömmig • Am Anfang einer grünen Hoffnung . Sechs neue Gedichte / S. 45
Charlotte Ueckert • Zehn Gedichte / S. 53
Ines Hagemeyer • Fragen im Schlepptau . Gedichte in zwei Sprachen / S. 63
Doru Eugen Popin • Identitäten und Avatar – oder die genaue Benennung der Fakten . Gedichte / S. 77
Karl Wolff • Denken, aber wie! . Kurzprosa / S. 88
Mathias Buth • Leben mit dem Sterben / S. 99
Werner K. Bliß • In Theo Breuers Zettelraum: nicht weniger nicht mehr / S. 101
Ioona Rauschan • Abhauen / S. 108

Zeitgeschichte
Hans Lindemann • Europäische Kaffeehauskultur / S. 122
Hans Dama • Von Memel auf die Kurische Nehrung zum Th.-Mann-Haus / S. 129

Atelier
Rainer Wedler • Roxane Stoica . Die Unschuldsvermutung gilt nicht für präventiv-polizeiliche Maßnahmen . Prosa / S. 135
Manfred Pricha • Zwölf Gedichte / S. 145
Cornelius Scherg • Die Dunkelkammer . Prosa / S. 157
Ulrich Bergmann • Die schöne Polin . Prosa / S. 173

Bücherregal
Widmar Puhl • Philip Reeves, Krieg der Städte . Jagd durchs Eis . Der Grüne Sturm . Die verlorene Stadt / S.179
Peter Frömmig • Philipp Blom, Das große Welttheater. Von der Macht der Vorstellungskraft in Zeiten des Umbruchs / S. 183
Wolfgang Schlott • Rachilde, Monsieur Vénus. Materialistischer Roman / S. 188
Uli Rothfuss • David Grossman, Was Nina wusste / S. 191
Uli Rothfuss • Iris Wolff, Die Unschärfe der Welt / S. 193
Uli Rothfuss • Alberto Manguel, Sehnsucht Utopie. Eine Reise durch fünf Jahrhunderte / S. 196
Barbara Zeizinger • Harald Gröhler, Astreines Alibi / S. 198
Matthias Buth • Petro Rychlo (Hg.), Mit den Augen von Zeitgenossen, Erinnerungen an Paul Celan / S. 200

 

 

MATRIX 1/2009 (15)

 MATRIX 1/2009 (15)

Stimmt, die Gedichte und die Prosastücke haben ein anderes Gewicht, nachdem man die Berichte über die Mitarbeit zwischen die rumänischen und deutschen Sicherheitsdiensten oder über den Genozid der albanische Literatur gelesen hat. Über viele wurde viel und wird bestimmt noch viel geschrieben werden. Oder auch nicht, leider. Angst, Vertuschung, ein bisschen Egoismus, keine Lust, keine Zeit usw. Trotz alldem versuchen wir durch die Veröffentlichung von Materialien des Georg Herbstritt und Gëzim Hajdari einige weniger bekannte Facetten der Literaturgeschichte zu beleuchten. Wie oft genug gesagt, bleibt MATRIX aber weiterhin eine Zeitschrift für Literatur und Kunst. Die neuen Texte von Maximilian Zander, Andreas Noga, Dieter Schlesak, Manfred Pricha, Birgit Kreipe, Karl Wolff, Christian Hartung, Simone Heembrock, unsere Debütantin Melanie Schrandt, u.a. sprechen, hoffen wir, dafür.
Was machen unsere Debütanten? Einige haben inzwischen ihr erstes Buch veröffentlicht. Neugierig? Lesen Sie ein erstes Interview mit unserer ehemaligen Debütantin Mareike Rumpf.
Francisca Ricinski-Marienfelds Gast ist diesmal der bekannte Romancier Günter Ruch. Lesen Sie ab S. 49 das Interview.
„Es handelt sich dabei um Vertreter einer Kultur, die ohne Vorurteile und ohne Zurückhaltung den Dialog mit ihren Zeitgenossen suchen, wie dies zuvor Tristan Tzara, Constantin Brâncusi, Eugene Ionesco, Emil Cioran oder Mircea Eliade getan hatten“, habe ich als Herausgeber im Nachwort eines der ersten aus dem Rumänischem übersetzten und veröffentlichten Bücher geschrieben. In der jetzigen Ausgabe können wir Ihnen die in Rumänien – und nicht nur dort – berühmte Prosaautorin Gabriela Adamesteanu (S.9) vorstellen, sowie den gerade von uns veröffentlichten Dichter Robert Serban (S.27).
Aus der Kulturszene berichten wir mit Hilfe der Rezessionen, Ausstellungskommentare usw. von Wolfgang Schlott, Stefanie Golisch, Urszula Usakowska-Wolff, Uli Rothfuss, Manfred Wolff. Michael Zoch stellt seine persönliche Auseinandersetzung mit einigen unserer Autoren vor. Außerdem gibt es einen Kommentar zur Frankfurter Buchmesse von Achim-Martin Wensien. Schauen Sie sich in Ruhe auch die Bilder unserer neuen Ausstellerin an: Friederun Friederichs. MATRIX freut sich sehr, Ihnen ihre Arbeiten vorzustellen.
Herzlichen Glückwunsch, Imre Török, zu Ihrem 60. Geburtstag! Lesen Sie seine Texte aus dem frisch erschienen Prosaband, Akazienskizze, ab Seite 46. Übrigens, am 12. März ist es wieder so weit: Die Tore der Leipziger Messehallen öffnen sich für das große Frühjahrstreffen der Buchbranche. Der POP-Verlag ist mit einem Stand in Halle 4, Stand D 503, dabei. Darüber hinaus können Sie einige unserer Autorinnen und Autoren bei Veranstaltungen näher kennen lernen. Unter andrem lesen aus ihren neu erschienen Büchern: Imre Török, Ioona Rauschan, Norbert Sternmut, Hennig Schönnenberger, Ingmar Brantsch, Karl Wolff und Robert Serban.
Ihr Traian Pop

Inhaltsverzeichnis

Editorial …………………………………….3

Das Erbe
Francisca Ricinski-Marienfeld: Zum 140. Geburtstag von Else Lasker-Schüler / S.4

Die Welt und ihre Dichter
Roberto Rossi Testa: Gedichte / S.6
Gabriela Adameşteanu: Prosa / S.9
Dieter Schlesak: Gedichte / S.23
Robert Şerban: Gedichte / S.27
Silvia Bortoli: Gedichte / S.43
Imre Török: Prosa / S.46
Gëzim Hajdari: Der Genozid
der albanischen Lyrik/ S.58

MATRIX-Ausstelung
Friederun Friederichs / S.31-42.

Matrix-Gespräche
GÜNTER RUCH antwortet
FRANCISCA
RICINSKI-MARIENFELD fragt S.49

Zeitgeschichte
Georg Herbstritt: Doppelt überwacht. Rumäniendeutsche Schriftsteller 1982 in den Akten der Stasi und der Securitate S.85

Atelier
Karl Wolff: Gedichte / S.98
Maximilian Zander: Gedichte / S.101
Andreas Noga: Gedichte / S.104
Norbert Sternmut: Gedichte / S.107
Manfred Pricha: Gedichte / S.109
Birgit Kreipe: Gedichte / S. 112
Thomas Steiner: Gedichte / S. 115
Henning Schönenberger: Gedichte / S. 119
Christian Hartung: Prosa / S.122
Simone Heembrock: Prosa / S. 124

Debüt
Melanie Schrandt: Prosa / S.129

Debütanten im Blickpunkt
Barbara Marie Mundt: Interview mit der Jung-Autorin Mareike Rumpf* /153
Rezensionen
Wolfgang Schlott über: Wladimir Makanin. Der Schreck des Satyr beim Anblick der Nymphe. / S.137
Wolfgang Schlott über: Irene Némirovsky, Feuer im Herbst. / S.140
Uli Rothfuss über: Rainer Wochele: Der General und der Clown. / S.142
Uli Rothfuss über : Eva Christina Zeller: Liebe und andere Reisen. . / S.144
Stefanie Golisch: Eckehard Pistrick: Versteckte Stimmen, / S.145
Urszula Usakowska-Wolff über: Claudiu M. Florian: Zweieinhalb Störche / S.147
Michael Zoch über: Chantal Danjou: Blaues Land, Valèrie Rouzeau: Nicht wiedersehen, eje winter: liebesland, Ioana Nicolaie: Der Norden, Aura Christi: Elegien aus der Kälte. / S.151

Aus der Kulturszene
Ausstellung
Urszula Usakowska-Wolff über: Anish Kapoor, Memory. Deutsche Guggenheim.. / S.160
Urszula Usakowska-Wolff über: Jeff Koons, Celebration. Neue Nationalgalerie Berlin. / S.163
Manfred Wolff über: Interieur/Exterieur. Wohnen in der Kunst. Kunstmuseum Wolfsburg. / S. 171

MATRIX Nr. 1/2013 (31) • Schatten und Ebenbild. Neue sorbische Literatur und Kunst •

  • 210 Seiten, ISSN: 1861-8006; Preis: 10,00 Euro.

M_31_1MATRIX  Nr. 1/2013 (31) • Schatten und Ebenbild. Neue sorbische Literatur und Kunst •

• Schatten und Ebenbild. Neue sorbische Literatur und Kunst • Benno Budar • Jěwa-Marja Čornakec • Benedikt Dyrlich • Lubina und Dušan Hajduk-Veljković • Marion Quitz • Lenka • Dorothea Šołćina • Ulrich Bergmann • Balthasar Waitz • Jan Christ • Theo Breuer • Franz Hodjak • Uli Rothfuss • Florica Madritsch • Georg Janßen • Karl Wolff • Fred Viebahn • Traian Pop • Barbara Zeizinger • Wolfgang Schlott • Michael Hillen •  176 Seiten, ISSN: 1861-8006; Preis: 10,00 Euro.

MATRIX Nr. 2/2013 (32) • 60 Jahre Die KOGGE in Minden •

MATRIX_32_1MATRIX Nr. 2/2013 (32) • 60 Jahre Die KOGGE in Minden •

  • Rainer Wochele • Martin A. Völker • Alf Tondern • Axel Thormählen • Robert Stauffer • Klaus Hensel • Oleg Mityaev • Jan Decker • Gheorghe Hibovski • Gabriele Frings • Wolf Peter Schnetz • Mechthild Podzeit – Lütjen • Rudolf Kraus • Myron Wojtowytsch • Barbara Zeizinger 60 Jahre Die KOGGE in Minden • Charlotte Ueckert • Mark Behrens • Małgorzata Płoszewska • Eva-Maria Berg • Renate Axt • Johanna Anderka • Tatjana Kuschtewskaja • Rainer Bartels • Pilar Baumeister • Beppo Beyerl • Manfred Chobot • Uli Rothfuss • Manfred Hausin • Fritz Deppert • Ingo Cesaro • Gudula Budke • Susanne Brandt • Dagmar Dusil • Herbert Friedmann • Willi F. Gerbode • Harald Gröhler • Michael Starcke • Harald K. Hülsmann • Ilse Hehn • Ralf Jandl • Gerald Jatzek • Bernd Kebelmann • Christoph Andreas Marx • Susanna Piontek • Jutta Dornheim • Wolfgang Schlott • Tina Stroheker • Traian Pop Traian • Jürgen Jankowsky • Ulrieke Ruwisch • Helmut Rizy • Piotr Szczepański •
  • 210 Seiten, ISSN: 1861-8006; Preis: 10,00 Euro.

MATRIX Nr. 3/2012 (29) • Jeder auf seine Art für Hans Bender •

M_29_1_2MATRIX Nr. 3/2012 (29)  • Jeder auf seine Art für Hans Bender •

  • Jeder auf seine Art für Hans Bender • Michael Augustin • Rose Ausländer • Franz Joachim Behnisch • Hans Bender • Gottfried Benn • Wolfgang Bittner • Johannes Bobrowski • Theo Breuer • Rolf Dieter Brinkmann • Jürgen Brôcan • Werner Bucher • Joseph Buhl • Michael Buselmeier • Hugo Dittberner • Anne Dorn • Georg Eisler • Susanne Eules • Manfred Gierig • Peter Hamm •  Markus Haupt • Walter Hinck • Dieter Hoffmann • Werner Irro • Gerhard Jaschke • Walter Kappacher • Michael Krüger • Axel Kutsch • Werner Lutz • Friederike Mayröcker • Renate von Mangoldt • Volker Neuhaus • Joachim Rönneper • Hans Georg Schwark • Arnold Stadler • Tina Stroheker • Jürgen Theobaldy • Maximilian Zander • Ulrich Bergmann • Harald Gröhler • Imre Török • Traian Pop • Wolfgang Schlott • Urszula Usakowska-Wolff • Fred Viebahn • Karl Wolff • Barbara Zeizinger •
  • Editorial / S.4Die Welt und ihre Dichter • Jeder auf seine Art für Hans BenderVorwort • Theo Breuer / S. 7Michael Augustin • Fensterblick Taubengasse · Prosaminiatur / S. 11Rose Ausländer • Im Atemhaus · Gedicht / S. 12Franz Joachim Behnisch • Was kümmert es die Geschichte · Gedicht / S. 13Hans Bender • Jetzt einreichen · Neue Gedichte in vier Zeilen / S.14 • Aufzeichnungen nach 2000 / S. 22Georg Eisler • Hans Bender in Taos · Zeichnung / S. 51Gottfried Benn • Brief an Hans Bender / S. 54Wolfgang Bittner • Nocturne · Drei Gedichte / S. 56Johannes Bobrowski • Brief an Hans Bender / S. 59

    Theo Breuer • Vom Hölzchen aufs Stöckchen · Auf meine Art an Hans Bender denken · Essay / S. 60

    Rolf Dieter Brinkmann • Kein Erinnern im Frühling · Gedicht / S. 76

    Jürgen Brôcan • I wrote it my way · Hans Benders neue Vierzeiler · Besprechung / S. 77

    Werner Bucher • Nichts spaltet die Bäume · Zwei Gedichte / S. 79

    Joseph Buhl • Stille der Sprache · Drei Gedichte / S. 81

    Michael Buselmeier • Eine Pfingstwanderung · Prosa / S. 84

    Hugo Dittberner • Der Wink · Sieben Gedichte / S. 87

    Anne Dorn • Haltung · Zwei Gedichte / S. 90

    Susanne Eules • die orte die stunden · Gedicht / S. 92

    Peter Hamm • Laudatio auf den Empfänger der Christian-Ferber-Ehrengabe 2006 / S. 93

    Markus Haupt • Stadtteilfest in Altona · Gedicht / S. 99

    Walter Hinck • Wie es kommen wird · Besprechung / S. 100

    Dieter Hoffmann • Tanzboden · Fünf Gedichte und ein Brief / S. 101

    Werner Irro • Brief an Hans Bender / S. 104

    Gerhard Jaschke • Kleine Studie über eine Begegnung mit dem großen Bender · Prosa / S. 105

    Walter Kappacher • Die Amseln · Prosa / S. 109

    Michael Krüger • Altes Holzhaus · Gedicht / S. 112

    Axel Kutsch • Verzicht · Fünf Gedichte und eine Notiz / S. 113

    Werner Lutz • Aufgestellt der Kirschbaum · Vier Gedichte und ein Grußwort / S. 116

    Friederike Mayröcker • an allen Ecken und Enden · Gedicht / S. 119

    Volker Neuhaus Brief an Hans Bender / S. 120

    Joachim Rönneper • Wie die Linien deiner, meiner, unserer Hand · Besprechung / S. 124

    Hans Georg Schwark • Einiges zur Wirkungsgeschichte der Lyrik Hans Benders · Essay / S. 127

    Arnold Stadler • Kinder können nicht rückwärtsschauen und vom Glück zwischen den vier Zeilen · Prosa / S. 131

    Tina Stroheker • Einer, der schreibt · Gedicht / S. 135

    Jürgen Theobaldy • Vier Variationen · Vierzeiler / S.136 • Der Freund · Prosa / S. 137

    Maximilian Zander • Entspannt auf dem Nagelbett · Sieben Gedichte / S. 140

    Hans Georg Schwark • Bild von Hans Bender / S. 143

    Hans Bender • Vertraute Wörter · Vierzeiler / S. 143

    A letter from Virginia

    Fred Viebahn • Wenn es von allen Seiten knallt / S.144

    Atelier

    Karl Wolff  • Asrael · Vier Gedichte / S. 156

    Harald Gröhler • Verräter · Drei Gedichte / S. 160

    Barbara Zeizinger • Ohne Schwerkraft · Vier Gedichte / S. 238

    Imre Török • Die Königin von Ägypten in Berlin · Auszug aus dem 2. Kapitel des neuen Romans / S.165

    Ulrich Bergmann • Kurze Begegnungen · Prosa / S.173

    Bücherregal

    Wolfgang Schlott • Wjatscheslaw Kuprijanow, Verboten / S.180

    Wolfgang Schlott • Ngo Nguyen Dung, Die Insel der Feuerkrabben / S.182

    Kunstparkett

    Urszula Usakowska-Wolff  • Diane Arbus, Martin-Gropius-Bau Berlin / S.185

    Forum

    Karl Wolff  • Russische Filmtage in Münster / S.192

MATRIX Nr. 4/2012 (30) • Genowefa Jakubowska- Fijałkowska •

M_30_1_2MATRIX  Nr. 4/2012 (30) • Genowefa Jakubowska- Fijałkowska •

  • Genowefa Jakubowska- Fijałkowska Vesna Lubina • Norbert Sternmut • Helmut Seiler • Michael Hillen • Billy Colins • Francisca Ricinski-Marienfeld • Katerina Poladjan • Ingrid Leibhammer • Peter Ettl • Herwig Haupt • Reiner Wedler • Peter Frömmig • Kalosh Çeliku • Jutta Dornheim • Stefanie Golisch• Reiner David • Christine Kappe • Tekgül Ari • Matthias Hagedorn • Traian Pop • Wolfgang Schlott • Urszula Usakowska-Wolff •
  • Debüt: Anke Meyring • 176 Seiten, ISSN: 1861-8006; Preis: 10,00 €

MATRIX 3/2019 (57) • Die KOGGE • Nicht alle, welche wandern, sind verloren

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

als „zu meiner Zeit“ ganze Jahre ohne technologische Veränderungen vergingen, hatte ich genug Luft, um Häppchen der Geschichte, Arithmetik, Literatur und Philosophie mit aller Wissbegier eines Kindes zu schlucken, das sich darauf vorbereitet, nicht nur seinen Eltern und Großeltern, sondern allen zu zeigen, wie schön die Welt sein kann. Dass die Geschichte in den Lehrbüchern diesseits und jenseits des Ozeans, diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs nicht identisch war, ahnte ich schon – wie wohl jeder von Ihnen. Dass die Arithmetik von „Diesseits und Jenseits“ nur ein und dieselbe sein konnte, wusste ich, obwohl in unseren Lehrbüchern schwarz auf weiß stand, dass Hitlers Arithmetik braun und die von Stalin rot
wäre.

Ja, so war es zu der Zeit, als es Jahre dauerte, bis sich – wissenschaftlich und technologisch gesehen – eine Veränderung zeigte. Doch wie sieht es heute aus? Wenn wir in einer von Wissenschaft und Technologie dominierten Welt leben, in der kaum jemand die Wissenschaft und Technologie versteht? Wenn heute unser Dasein online ist, wie verhält es sich mit dem Analogen und Digitalen, dem Realen und Virtuellen? Wenn heute alles ständig auf dem neuesten technologischen Stand sein muss und wir keine andere Wahl haben, als uns anzupassen oder uns zu entfremden – bis zum nächsten Upgrade, wenn viele, wenn nicht gleich alle von uns durch Leistungsfähige ersetzt werden? Wenn ich heute z. B. mein eigenes Bankkonto nicht online sehen bzw. eine Überweisung durchführen kann, weil ich den Brief mit der Information zu den neuen Regeln nicht rechtzeitig gelesen habe?
Nicht nur, dass wir uns die Welt von morgen nicht mehr vorstellen können und die Dinge, die jetzt geschehen, uns total unvorbereitet überrollen, sondern auch, dass wir nicht einmal mehr verstehen können, was uns in der Vergangenheit passierte, ist längst zu einer alltäglichen Tatsache geworden.

Oh, Mutter, und wir machen Musik, brüllt ein bekanntes Volkslied!

Ja, werde ich antworten, das ist – egal ob wir damit einverstanden sind oder nicht – unsere Welt. Damit müssen wir nun zurechtkommen. Nichts ist einfacher, als sich eine kurze Atempause zu gönnen. Auch die perfekte Hardware braucht ab und zu eine Pause. Lasst uns spielen: Verstecken wir uns vor uns selbst. Geben wir zu, dass wir, als wir geboren wurden, nicht an Google und Amazon dachten, sondern an das, was unsere Vorfahren als göttlich und gleichzeitig menschlich erachteten. Auch wenn sie glaubten, dass die Arithmetik – egal ob braun oder rot – alles regle. Sie haben uns Zeit gegeben, um zu überlegen, was wir mit uns und der Welt anfangen wollen. Keine Arithmetik der Welt kann uns das nehmen. Und keine menschliche Existenz mit all ihrer Kürze und all ihrem Schmerz.

„Viele – und auch das verheißt uns der Titel mit seinem ,nicht alle‘ – scheitern. Das Mittelmeer wurde zum Massengrab, Tausende kamen und kommen immer noch in den Fluten um, auf ihrem Weg in die Hoffnung auf eine bessere Zukunft; es ist eine Schande für Europa, für jedes einzelne europäische Land, dies hinzunehmen, eifersüchtig zu streiten und in Kauf zu nehmen, dass aus dem Europa der Vielfalt und der Buntheit, der Toleranz, der rücksichtsvollen Aufnahmebereitschaft, wovon der Kontinent immer gelebt und wodurch er sich weiterentwickelt hat, ein kalter Block sich einmauernder Staaten wird, der – und auch das wird nur vermeintlich gelingen – durch Abschottung seinen auf dem Rücken der Armen, der ausgebeuteten Erdteile begründeten Wohlstand sichern will.
[…]
Lesen Sie, liebe Leserinnen und Leser, diese Literatur zu einem aktuellen Thema, zu dem beherrschenden Thema unserer Zeit, dem Wandern in die Zukunft, erfüllt von Hoffnungen, als Momentaufnahme, als zeitlose Dokumentation, als Anregung für das eigene Denken und Handeln. Und bleiben Sie menschlich, jeden Tag, jede Stunde, zu sich selbst und so auch zu anderen.“ So Uli Rothfuss über der Schwerpunkt unserer Ausgabe, die von 37 KOGGE-Autoren unterstützt wird.

„Immer wieder träume ich den gleichen Traum: Ich bin gestorben, und mein Schicksal entscheidet sich. Mir sind ein paar Stunden Zeit gegeben, um in mein früheres Erdenleben zurückzukehren und es zu verbessern. Aber was genau?“ So Tatjana Kuschtewskaja in „Unterwegs…“. Und weiter: „Jedes Mal komme ich in meinem Traum genau an den Ort, an dem ich heute lebe. Der Drang wegzulaufen verschwindet.“

In dieser MATRIX-Ausgabe kämpft die KOGGE nicht mit dem Kaventsmann, sondern mit … der ruhigen See.

Aber nicht nur die KOGGE. Was wäre die Auseinandersetzung von Theo Breuer mit dem Werk von Norbert Scheuer sowie mit der Dichtung von Gao Changmey (Meier) denn anderes als eine Atempause vor den Sturm?
Oder Admiel Kosmans Gedichte „Aus dem Zwischen des Hohelieds“ und Edith Lutz’ Blick darauf: „Von hinter dem Stacheldraht? Die letzten Wörter in dieser Auswahl […] hallen nach. Der Stacheldraht von Auschwitz? Der Draht, der unbarmherzig trennt? Oder ist es der telegrafische Draht, der Verbindungen herstellt? Das hebräische Wort ist – wie so oft in Kosmans Gedichten – mehrdeutig. In der Mehrdeutigkeit lässt sich, etwa im Nachhall dieser Frage, in einer folgenden Leerzeile sozusagen, vielleicht eine Stimme, eine hauchdünne Stimme hören: ,Ja, auch hier‘.“
Wie Matthias Buths Donau, die „kniet sich tiefer in den Grund / Horcht die Sedimente ab Nacht und Tag“.

 

Ihr Traian Pop

Es signiert: • Die KOGGE • Nicht alle, welche wandern, sind verloren • Johanna Anderka • Pilar Baumeister • Mark Behrens • Eva Maria Berg • Beppo Beyerl • Detlev Block • Susanne Brandt • Gudula Budke • Ingo Cesaro • Manfred Chobot • Fritz Deppert • Eric Giebel • Harald Gröhler • Judith Gruber-Rizy • Brigitte Gyr • Ilse Hehn • Rudolf Kraus • Peter Küstermann • Tatjana Kuschtewskaja • Horst Landau • Hermine Navasardyan • Marcus Neuert • Małgorzata Płoszewska • Mechthild Podzeit-Lütjen • Uta Reichardt • Uli Rothfuss • SAID • Helmut Schmale • Tarja Sohmer • Herbert Somplatzki • Friedrich Wilhelm Steffen • Tina Stroheker • Piotr Szczepański • Ursula Teicher-Maier • Charlotte Ueckert • Rainer Wochele • Barbara Zeizinger • Theo Breuer • Empfundene / erfundene Welten in Norbert Scheuers Gedichten und Geschichten • Admiel Kosman • Edith Lutz • Ulrich Bergmann •  Matthias Buth • Peter Gehrisch • Heinz Weißflog • Theresia Schön • Widmar Puhl • Karl-Markus Gauß zum 65. Geburtstag •  Traian Pop •

Traian Pop • Editorial / S.8

Die Welt und ihre Dichter

• Die KOGGE • Nicht alle, welche wandern, sind verloren.

Uli Rothfuss • Nicht alle, welche wandern, sind verloren. Ein Versuch der Näherung an eine unsichere Zeit. / S. 9
Johanna Anderka • Drei Gedichte / S. 12
Pilar Baumeister • Zwei Gedichte / S. 15
Mark Behrens • Der Bleistift . Prosa / S. 19
Eva Maria Berg • Zwei Gedichte / S. 24
Beppo Beyerl • Triest . Prosa / S. 27
Detlev Block • Gedicht / S. 33
Susanne Brandt • Zwei Gedichte / S. 35
Gudula Budke • Sonnenglut und Wassernot . Prosa / S. 37
Ingo Cesaro • Schattenspuren . Gedicht / S. 42
Manfred Chobot • Fünf Gedichte / S. 46
Fritz Deppert • Wanderwege . Gedicht / S. 51
Eric Giebel • Zwei Gedichte / S. 54
Harald Gröhler • Schlecht zu lokalisieren . Prosa / S. 59
Judith Gruber-Rizy • Rückkehr in die Stadt K. . Ein Auszug aus dem gleichnamigen Roman / S. 64
Brigitte Gyr • Tous ceux qui errent ne sont pas perdus . Prosa / S. 69
Ilse Hehn • Vier Gedichte / S. 71
Rudolf Kraus • Zwei Gedichte / S. 76
Peter Küstermann • Brief nach Aleppo . Prosa / S. 78
Tatjana Kuschtewskaja • Unterwegs zu sein ist ein Weg zur Selbst-
erkenntnis . Prosa / S. 80
Horst Landau • „Nicht alle, welche wandern, sind verloren.“ . Gedicht / S. 84
Hermine Navasardyan • Zwei Gedichte / S. 85
Marcus Neuert • S.O.S. (Sound Of Speed) . Prosa / S. 87
Małgorzata Płoszewska • Drei Gedichte / S. 89
Mechthild Podzeit-Lütjen • forttragen . Prosa / S. 92
Uta Reichardt • Vier Gedichte / S. 98
SAID • wir teilen . Gedicht / S. 102
Helmut Schmale • colline des puits . Gedicht / S. 103
Tarja Sohmer • Die Pflicht zu Leben . Prosa / S. 105
Herbert Somplatzki • Vier Gedichte / S. 109
Friedrich Wilhelm Steffen • Vier Gedichte / S. 113
Tina Stroheker • Drei Gedichte / S. 116
Piotr Szczepański • Fünf Gedichte / S. 119
Ursula Teicher-Maier • sichtfeld parzelliert . Prosa / S. 125
Charlotte Ueckert • Erinnerungstour . Prosa / S. 131
Rainer Wochele • Prosa / S. 136
Barbara Zeizinger • Liebe allein genügt nicht . Prosa / S. 142

Theo Breuer • Winterbienen im Urftland . Empfundene / erfundene Welten in Norbert Scheuers Gedichten und Geschichten . Auszug / S. 147
Admiel Kosman • Aus dem Zwischen des Hohelieds . Fünf Gedichte / S. 155
Edith Lutz • Es mag der Liebe gefallen . Zu den Gedichten von Admiel Kosman / S. 161
Ulrich Bergmann • La voix du Pirandello . Ein paar Gedanken zu Pirandellos Drama „Sechs Personen suchen einen Autor“ / S. 165
Theo Breuer • Alles – und viel, viel mehr (vielleicht …) . Regenbogenfarben des kalten Wetters, verfaßt von der 1968 in Huai’an geborenen chinesischen Schriftstellerin Gao Changmey / S. 167

Atelier
Matthias Buth • Acht Gedichte / S. 179

Bücherregal
Uli Rothfuss • Wo seid ihr, ihr merkwürdigen Toten? „Traum von meinem Vater“ eine Leseerfahrung der Erzählung von Karol Sidon / S. 189
Harald Gröhler • Wie oft hab ich geknirscht mit den Zähnen . Hadaa Sendoo, Sich Zuhause fühlen. / S. 191
Peter Gehrisch • Wie mit der Feder geschrieben . Aphoristische Reflexionen von Hans Bender / S. 194

 

MATRIX 1/2019 (55) • Eginald Schlattner •

Ciudat, dar îmi vine să scriu româneşte …
Komisch, aber ich hätte Lust, rumänisch zu schreiben … Denn ich lerne Rumänien auch dank einiger deutscher Freunde besser ken-
nen. Ich, der geborene Rumäne, der jetzt – als Verleger ein „Wiederholungstäter“, der immer wieder an den „Tatort“ zurückkehrt – ein Editorial schreiben muss.
Nun, so wie ich mich wahrscheinlich zig Mal geäußert habe, ohne besonders hervorzuheben, dass alles, was ich Ihnen mitteile, nur meiner Realität entspricht – um Ihnen das Gefühl zu geben, dass
es sich bei meinen Aussagen um eine allgemein verbindliche
Sicht der Dinge handelt –, muss ich nun betonen, dass alles, was ich im Folgenden erzähle, stimmt.
Ich bin nicht mehr der Jüngste. Als mein Vater noch lebte, habe ich mal seine Jacke und seinen Mantel anprobiert. Danach traute ich mich, in seine Haut zu schlüpfen. Als mein Bruder von einer Lawine verschüttet wurde und starb, bat ich meinen Vater, seine Haut zu verlassen, um in die Haut meines Bruders zu schlüpfen.
Er sagte nichts, aber ich konnte nur mit seiner Haut in die Haut meines Bruders schlüpfen. Die Szene wiederholte sich, als meine Mutter mich aufforderte, in ihre Haut zu schlüpfen.
Warum ich Ihnen all dieses sage? Weil ich gerade mit meinen eigenen Fehlern konfrontiert bin. Und mit den Fehlern meines Vaters. Und mit den Fehlern meines Bruders. Und mit denen meiner Mutter. Meines Erachtens schaffte ich es nie, meine bisherigen Fehler zu vermeiden. Ebenso wenig wie die Fehler von Vater, Bruder oder Mutter. Noch schlimmer: Meine Kinder haben – soweit ich das mitbekommen habe – nie etwas aus meinen Fehlern gelernt, ob-wohl ich immer wieder vorgesorgt habe, genauso wie mein Vater und meine Mutter … Anders gesagt: Ich habe es nicht geschafft, meine Kinder besser als mich werden zu lassen.
Hätte ich das machen müssen? Wäre diese Welt besser, wenn zum Beispiel meine Kinder kein Flugzeug besteigen würden, da es
umweltschädlich, außerdem gefährlich und absolut ungesund ist – vor allem, wenn man bedenkt, dass mein Vater, der Pilot war, an Krebs starb und lange Zeit gar nicht gemerkt hatte, wie sich die
Radar-Strahlung auf seinen Körper auswirkte? Würde es meinen
Kindern besser gehen, wenn sie auf Fast Food verzichteten, weil es
ungesund ist? Würden sie ruhiger schlafen, wenn sie kein Handy benutzen würden und kein Bluetooth und kein WLAN, weil man nicht
sicher sein kann, was für einen Schaden dies alles nach sich zie-
hen könnte? Würden Sie länger leben, wenn Sie das Skifahren auf-
gäben, weil nicht nur mein Bruder, na ja, dabei erwischt wurde … Würden meine Kinder einen besseren Job haben, wenn sie nicht mehr zur Wahl gingen wie meine Mutter, die alle Politiker ent-
weder für dumm oder für korrupt erklärt hat und schuldig am Tod ihres Mannes wie ihres Sohnes? Wie wäre es ohne das Abenteuer, das Risiko, den Wunsch, etwas Neues zu entdecken, zu erleben, zu versuchen? Eine Gesellschaft von gealterten Kindern, eine
Geschichte ohne Vergangenheit und Zukunft, ein Zahnrad, das sich selbst genug ist, um selbstverliebt zu entscheiden, wann es
sich nicht mehr drehen mag?
Schön, werden einige von Ihnen sagen, schön wäre, wenn alle
Horrortaten, die von Menschen an Menschen – um nicht noch
an die Zerstörung der Umwelt zu erinnern – verübt werden, ein für alle Mal verschwinden würden: endlich Gerechtigkeit! Warum sollte es wie gewohnt weitergehen?
Nun frage ich mich: Wie anders? Gibt es etwas anderes? Gibt es tatsächlich eine „gute“ und eine „schlechte“ Geschichte? Es sieht so aus, dass wir nur zwischen dieser Mischung aus Versuch, Horror, Abenteuer, Unerträglichkeit, Unvorhersehbarkeit und … dem Nichts wählen dürfen.
Wie gesagt, ich höre die Stimme meines Bruders, wenn ich etwas über die Berge erzähle oder wenn ich jemandem kategorisch widerspreche – nur um ihm zu widersprechen. Die Stimme meiner Mutter höre ich, wenn mein Körper schmerzt, weil ich
sie so sehr vermisse. Die Stimme meines Vater höre ich, wenn ich unserem Enkelkind zu erklären versuche, wie man eine eingefro-
rene Militärmaschine startklar macht mithilfe einer Roma-Band, die Csárdás-Tänze spielt, und mit einem Viertel Palinka.
Ja, ich hätte gern rumänisch schreiben wollen …
Komisch? Nicht unbedingt, wenn ich an diese MATRIX-Ausgabe denke, die mich in einen Ausnahmezustand versetzt hat.
Wundern Sie sich nicht: Ich lerne gerade eine wunderbare Facette Rumäniens kennen dank eines der besten dort geborenen deutschsprachigen Schriftsteller. Ich lerne gerade eine wunderbare Facette Europas und der Welt kennen dank eines evangelischen Pfarrers und Gefängnisseelsorgers aus Rumänien. Ich lerne gerade mich kennen: so ängstlich, neidisch, schwach, gierig, unbedeutend usw., aber deswegen doch froh, glücklich und unternehmungslustig. Und vor allem voller Lust, ins Auto zu steigen und nach Rothberg/Roşia zu fahren. Um Freude und Frieden zu tanken. Binecuvântat să fie cel ce mi-a îndreptat paşii spre dumneavoastră! Gelobt sei jener, der meine Schritte zu Ihnen gelenkt hat, Eginald Schlattner! Und ich bitte Sie um Verzeihung, wenn ich nun – so „klein und mit sprudelndem Kopf“, wie ich mich fühle –, nicht in der Lage bin, etwas anderes zu tun, als unseren Lesern zu empfehlen, Ihre
Bücher so schnell wie möglich zur Hand zu nehmen.

Liebe Leserinnen und Leser, ich freue mich, Ihnen diese besondere Ausgabe, die Eginald Schlattner, den erfolgreichsten deutschen Autor aus Rumänien, als Schwerpunk hat, präsentieren zu dürfen. Es signieren: Eginald Schlattner, Sigurd Paul Scheichl, Michaela Nowotnick, Edith Konradt, Karl-Markus Gauß, Eva László-Herbert, Gabriela Sonnenberg, Andreea Dumitru, Christoph Klein, Matthias Buth, Traian Pop Traian, Frieder Schuller, Gabriella-Nóra Tar, Cord Meier-Kloth, Emil Hurezeanu und Mirona Stănescu.

Dazu gibt es einen starken Lyrik-Teil zum 100. Geburtstag von
Hans Bender mit seinen letzten Vierzeilern, begleitet von einem Essay von Theo Breuer.

Und vergessen Sie bitte nicht, uns auf der Leipziger Buchmesse, Halle 4. E213 zu besuchen. Die vorliegende Ausgabe wird am Sonntag, 24. März 2019, im Café Europa, Halle 4, E401 um 13.00 Uhr von Edith Konradt, Herausgeberin dieses MATRIX-Schwerpunktes und Lektorin von Eginald Schlattners Buch Wasserzeichen, vorgestellt.
Traian Pop

Es signiert: • Eginald Schlattner • Man verlasse den Ort des Leidens nicht, sondern handle so, dass die Leiden den Ort verlassen • Sigurd Paul Scheichl • Michaela Nowotnick • Karl-Markus Gauß • Christoph Klein • Eva László-Herbert • Gabriela Sonnenberg • Andreea Dumitru • Matthias Buth • Traian Pop Traian • Frieder Schuller • Gabriella-Nóra Tar • Cord Meier-Kloth • Emil Hurezeanu • Mirona Stănescu • Harald Gröhler • Wolfgang Schlott • Hans Bender • Letzte Vierzeiler • Theo Breuer •

Editorial / S. 4

Die Welt und ihre Dichter

Eginald Schlattner • Man verlasse den Ort des Leidens nicht, sondern handle so, dass die Leiden den Ort verlassen
Eginald Schlattner • Und … / S. 7
Sigurd Paul Scheichl • „Wie an den Lagerfeuern der Karawan-
sereien“. Eginald Schlattner – ein exotisches Kuriosum? Zur Schlattner-Rezeption in den deutschsprachigen Ländern / S. 27
Michaela Nowotnick • Vom Büchermachen / S. 51
Eginald Schlattner • im Gespräch mit Edith Konradt über seinen Debütroman Der geköpfte Hahn: „Eindeutigkeit gibt es nur um den Preis des Irrtums“ / S. 57
Eginald Schlattner • Maghrebinische Zwischenräume / S. 65
Eginald Schlattner • Vom Dorfweiher zum Königsschloss. Ein modernes Märchen und mehr / S. 72
Karl-Markus Gauß • Brief an Eginald Schlattner / S. 75
Eva László-Herbert • Geballte Klarsicht und die bittersüße Poetik
der Erinnerungen eines Mitteleuropäers / S. 77
Gabriela Sonnenberg • Gespiegelt im Fluss der Erinnerungen. Gedanken zu Eginald Schlattners Buch Wasserzeichen / S. 79
Andreea Dumitru • „Erlebte, gelebte Wirklichkeit“. Eginald Schlatt-
ners neues Buch Wasserzeichen / S. 89
Christoph Klein • Mythische Erinnerungsorte in Eginald Schlattners Wasserzeichen / S. 95
Eginald Schlattner • Bericht des evangelischen Gefängnispfarrers /
S. 125
Eginald Schlattner • Ja nicht Ja. Walther Gottfried Seidner zum 80. /
S. 145
Eginald Schlattner • Fackeln im Schnee / S. 159
Matthias Buth • Gemeinde / S. 167
Traian Pop Traian • Ultima ninsoare / Der letzte Schnee / S. 170
Frieder Schuller • Rothbach zur Neige / dr. honoris ruffimontanus /
S. 173
Eginald Schlattner • Post festum. Zur Verleihung des Ehrendoktor-
titels am 12. November 2018 in der Johanniskirche zu Hermannstadt / S. 176
Gabriella-Nóra Tar • Laudatio zur Verleihung des Ehrendoktortitels an Pfarrer Eginald Schlattner / S. 183
Eginald Schlattner • Der Fremdling im Tor. Akademische Ansprache beim Festakt zur Verleihung des Ehrendoktortitels / S. 192
Eginald Schlattner • Tränen in vielen Sprachen / Lacrimi în multe
limbi. Deutsche Übersetzung der rumänischen akademischen Ansprache / S. 207
Cord Meier-Kloth • Ansprache in der Begegnungsstätte „Bischof Friedrich Teutsch“ / S. 224
Emil Hurezeanu • Ansprache in der Begegnungsstätte „Bischof Friedrich Teutsch“ / S. 228
Mirona Stănescu • Ansprache in der Begegnungsstätte „Bischof Friedrich Teutsch“ / S. 231

Hans Bender • Letzte Vierzeiler
Theo Breuer • Vertraute Wörter, Rhythmen, Reime. Zum 100. Ge-
burtstag von Hans Bender / S. 234
Hans Bender • Hinter die dunkle Tür. Zwanzig Vierzeiler / S. 237

Bücherregal
Harald Gröhler • Dato Barbakadse: Wenn das Lied sich vom ermüdeten Körper befreit / S. 243
Wolfgang Schlott • Helmut K. Seitz / Ingrid Thoms-Hoffmann: Die berauschte Gesellschaft. Alkohol – geliebt, verharmlost, tödlich / S. 247

MATRIX 2/2018 (52) • Made by Characters – Lyrik aus Georgien •

Leg alles offen auf den Tisch, den Wahnsinn der Gesellschaft, ihre Attitüden, ihre Auswüchse, und du wirst sofort, ohne das Recht, dich zu wehren, ihr Feind, das trojanische Pferd, der Unglücksbringer, das schwarze Schaf, der Irrsinnige, der in die Zwangsjacke gehört, eine unerschöpfliche Quelle der Abschreckung, damit allen die Lust vergeht, aus der Reihe zu tanzen. Klar: ein gefesselter kritischer Geist. Deshalb nimmt die Feigheit so oft und nicht zufällig „pazifistische“ Konturen an. (Aus dem Gedächtnis zitiert)

Ich bin eigentlich kein „Krieger“, aber es fällt mir schwer, ein „Pazifist“ im zitierten Sinne zu sein, auch wenn ich mich manchmal scheue, „die Karten offen auf den Tisch zu legen“. Aus zwei Gründen. Erstens, weil ich schon seit Langem – wenn überhaupt –
kein Spiel ohne Tricksereien erlebt habe. Zweitens, weil jeder Gewinn in der anderen Waagschale durch einen Verlust ausgeglichen wird. Jeder von uns kennt diese einfache Wahrheit, aber keiner will sie zur Kenntnis nehmen.

Albträume eines Verlegers
Mir geisterten im Laufe dieses Jahres Bilder des Schreckens durch den Kopf. Es ging um unseren Auftritt bei der Frankfurter Buchmesse 2018. Genauer gesagt, um unser Anliegen, Ihnen die georgische Literatur näherzubringen. Es wäre einfach zu behaupten, Georgien sei ein Land wie jedes andere, die georgische Literatur sei eine Literatur wie jede andere und so weiter und so fort. Doch dem ist nur so, wenn man alles aus der Ferne betrachtet. Wenn man aber versucht, sich zu nähern, ändert sich das Bild. Ich befürchtete also, dass die vertrauten Vorstellungen von georgischer Landschaft, Geschichte und Kultur sich verflüchtigen könnten. Es ist nicht einfach, mit solchen Ängsten umzugehen, wenn man sich schon seit Jahren um einige – nicht wenige – georgische Autoren und Werke gekümmert hat.
Nach etwa vierzig aus dem Georgischen übersetzten und veröffentlichten Titeln hätte ich leider immer noch nicht sagen können, dass alles reibungslos lief, dass ich mich über die Ergebnisse freuen könnte. Warum? Weil mich meine Albträume einfach nicht losließen und ich mich scheute, darüber zu sprechen.
Zu meinen angstbesetzten Vorstellungen gehörte, dass ich es mit einem sogenannten Übersetzer aus dem Georgischen zu tun haben könnte, der gar kein Georgisch kann. Weil ich, naiv oder dumm, ihn vorher nicht nach seiner Qualifikation und beruflichen Laufbahn als Übersetzer gefragt hatte.
Schreckensvisionen waren auch, dass ein sogenannter Herausgeber mir das von ihm betreute Buch erst nach dem verbindlichen Abgabetermin liefern und mir untersagen würde, es lektorieren bzw. korrigieren zu lassen. Dass er mich zwingen könnte, eine bestimmte Druckerei zu nehmen und – damit nicht genug – eine mir unbekannte Person als bevollmächtigte Vertretung des Verlags in einem mir fremden Land zu akzeptieren. Dass es sich um einen Herausgeber handelte, der sich selbst dazu ernannt hatte, erst nachdem das Buch unter Vertrag stand; ein Herausgeber, der sich zwischen Verlag und Druckerei drängen und das zum Druck geschickte Buch hinterher noch ändern könnte, ohne den Verlag zu informieren; ein Herausgeber, der dem Verlag verbieten würde, die Annahme der Bücher zu verweigern, falls sie nicht ordnungsgemäß gedruckt wären; ein Herausgeber, der den Verlag zwingen könnte, die Druckkosten zu begleichen, bevor die gedruckten Bücher überhaupt geliefert wären – mit dem Hinweis, dass andernfalls die von ihm bevollmächtigte Person ermordet würde, falls der Betrag nicht sofort auf das Konto einginge. Und wäre von so einem Herausgeber nicht auch zu erwarten, dass er im Namen des Verlags auf der Buchmesse eigenmächtig agieren könnte, ohne den Verleger davon in Kenntnis zu setzen?
Mich plagten aber noch andere Sorgen. Eine der qualifiziertesten Übersetzerinnen aus dem Georgischen hatte akzeptiert, für uns einen bekannten Roman ins Deutsche zu übersetzen. Doch statt diese Übertragung zu fördern, wollten die von den georgischen Behörden beauftragten Juroren einen Übersetzer favorisieren, der überhaupt kein Georgisch kann. Uns blieb also nichts anderes übrig, als das Buch auch ohne Förderung auf den Markt zu bringen. Und unsere Ausgabe sah sehr gut aus. Gelobt und in der Presse gut besprochen wurde allerdings die geförderte Ausgabe. Und eine ängstliche Stimme flüsterte mir ins Ohr, dass die Lobbyisten vermutlich nie schlafen.
Trotz meiner Befürchtungen und Ängste berichteten einige Zeitungen doch ziemlich positiv über „unsere“ Bücher. Und dann so etwas: „Sehr geehrter Herr Pop, wir hatten bei Ihnen die im Betreff erwähnte Anthologie bestellt und haben sie auch vor wenigen Tagen erhalten. Wir sind ziemlich erschrocken über den Zustand des Buches und das umso mehr, da es ja nicht ein sehr preiswertes Buch ist. Auch wenn neu, sieht es antiquarisch aus. Gelesen, beblättert, leicht angestoßen. Ich werde es so meinem Kunden anbieten. Sollte er den Zustand monieren, behalte ich mir eine Rückgabe zur Gutschrift vor.“
Wollen wir dies tatsächlich als unabänderlich hinnehmen? Gerade jetzt, wenn Georgien im Rampenlicht steht? Gerade jetzt, wenn wir endlich die Möglichkeit haben, dass georgische Autoren und Werke von der Leserschaft gewürdigt werden? Was wird aus unserem Fleiß, aus unseren durchgearbeiteten Nächten, aus unseren Träumen, etwas Gutes für uns, für die Welt und für die Weltliteratur getan zu haben? Und was wird aus der qualifizierten Übersetzerin, die alle Feinheiten der georgischen Sprache kennt, die sich seit Jahren für die georgische Literatur und Kultur einsetzt – und zwar nicht nur als Professorin an einer der besten Universitäten im deutschen Sprachraum, sondern auch durch zahlreiche Übersetzungen aus dem Georgischen? Was bleibt dann von unseren gelungenen Nachdichtungen von Lyrikern, die – wie eine renommierte Kritikerin meint – „in die oberste Weltliga gehören“? „Die größte Entdeckung: Lyrik und Dichter aus Georgien, die in die oberste Weltliga gehören, wie (große Empfehlung) Nika Jorjaneli und sein Band Roter Schein: ,Im Sommer vergeht kein Tag, ohne dass kleine Vögel in meine Küche fliegen. / Ein kaum zu hörendes Geräusch auf dem Linoleumboden verrät ihr Erscheinen, / das sind ihre winzigen Füße. / Und ich – ich weiß auch nicht warum – scheuche die Vögel nach draußen.‘“ (Iris Radisch, Die Zeit, Nr. 43/2018).
Wie schon gesagt, ich hatte Angst, dass die ganze Arbeit futsch sei, wenn nun alle in ein und denselben Topf geworfen werden. Es sah so aus, als ob ich wählen müsste zwischen „besser machen“ und „besser verkaufen“. Was könnte ich tun gegen die Lobbyisten, gegen die Tatsache, dass heutzutage mehr in die Verpackung als in den Inhalt investiert wird? Wie könnte ich gegen diese unverantwortliche Ignoranz und Verschwendung vorgehen? Wie könnte ich mich für die Werte einsetzen, die vor meinen Augen mit Füßen getreten werden? Was war das alles? Ein Albtraum? Oder Fiktion? Wie viel Angst darf ein Traum beinhalten? Und wie viel Realität? Wie viel Realität darf in die Fiktion einfließen? Und wie viel in ein Editorial? Wahrscheinlich brauchte ich diese kalte Dusche. Ich ahnte doch, dass für einige unserer Übersetzungen mehr Zeit nötig gewesen wäre, um wirklich dem Original gerecht zu werden. Ich ahnte doch, dass ein Übersetzer, egal wie gut er beide Sprachen beherrscht, zuerst die Sprache des Werkes selbst verstehen und vom allem lieben soll, damit der Text ihm unter die Haut geht, bevor er überhaupt mit seiner Arbeit anfängt. Ich ahnte doch, dass ich mir viel zu viel vorgenommen und vieles zu schnell aus der Hand gegeben hatte. Ich ahnte doch, dass mein Kleinverlag anders aussieht, als ich ihn sehe…

Nun sind wir aber Gastland. Und zwar alle. Egal wie wir heißen, egal ob wir Georgisch verstehen oder nicht, egal ob wir überhaupt wissen, wo Georgien auf der Europakarte liegt (viele denken ja, dass Europa an der EU-Ostgrenze endet), egal ob wir Kenner oder Neugierige, ob wir Verleger, Buchhändler oder Leser sind. Egal ob wir ausgeträumt haben oder weiterhin träumen. Trauen Sie sich einzutreten: Die georgische Welt steht uns offen – und das nicht nur so lange, wie wir Gastland sind. Danke dir, Georgien, dass ich dabei sein darf, danke euch allen für euer Vertrauen und eure Hilfe, danke euch allen, dass es euch gibt!

„Georgia – Made by Characters“
Seit dem 4. Jahrhundert nach Christus gibt es die georgischen Schriftzeichen – die 33 Buchstaben des einzigartigen Alphabets, das kürzlich zum UNESCO-Welterbe erklärt wurde. Unter dem Motto „Georgia – Made by Characters“ präsentierte Georgien auf der Frankfurter Buchmesse Werke, die in dieser Schrift geschrieben wurden, und damit auch die eigentlichen Charaktere: Autoren, Künstler, die Georgier und ihr Land.
„Georgien blickt auf eine 15 Jahrhunderte lange literarische Tradition und eine bewegte Geschichte zurück. Dieses kulturelle Erbe prägt und inspiriert zeitgenössische Autorinnen und Autoren auch heute noch. Auf der Frankfurter Buchmesse 2018 werden unsere Besucherinnen und Besucher aus aller Welt die lebendige Literaturszene des kaukasischen Landes entdecken.“ (Juergen Boos, Geschäftsführer der Frankfurter Buchmesse).
„[Die georgische Literatur] hat sich Schritt für Schritt neben der modernen Weltliteratur entwickelt und vermittelt ein klares Bild von dem Charakter der Nation, die sie hervorgebracht hat.“ Und weiter: „Wir wollen als Ehrengast unsere Antwort auf die Herausforderungen der modernen Welt präsentieren – die Antwort eines Landes, das so klein ist wie unseres und das seine historischen und kulturellen Erfahrungen mit der ganzen Welt teilen möchte.“ (Medea Metreveli, Leiterin des georgischen Ehrengast-Komitees).
Wie von unseren Mitstreitern erwartet, wurden die meisten Bücher, mit denen sich Georgien auf der Messe vorgestellt hat, nicht in Großverlagen veröffentlicht, sondern in Kleinverlagen. Mit mehr als 33 Titeln dürfen wir als einer der wichtigsten Unterstützer Georgiens auf dieser Buchmesse gelten. In der vorliegenden MATRIX-Ausgabe stellen wir Ihnen einige georgische Lyrikerinnen und Lyriker vor, u. a. Dato Barbakadse, Kato Dschawachischwili, Badri Guguschwili, Nika Jorjaneli, Rusudan Kaischauri, Eka Kevanischwili, Esma Oniani, Nino Sadghobelaschwili, Lela Samniaschwili, Irma Schiolaschwili, Amiran Swimonischwili und Mariam Ziklauri.
Die Essays „Gedanken über die Poesie“ von Esma Oniani sowie „Die ewig fließende Grenze zwischen Leben und Tod“ von Peter Gehrisch runden den georgischen Teil dieser Ausgabe ab. Ich stelle gerade fest, dass ich eines der besten Bücher, die überhaupt über Georgien geschrieben wurden, nicht erwähnt habe, und bitte Karl Wolff um Verzeihung: „Von Tiflis nach Tbilissi. Reise an den Ursprung einer Sehn-Sucht“ ist immer noch aktuell, auch wenn es mehr als zehn Jahre alt ist. Ich darf es sehr empfehlen.
Und last but not least haben wir von unseren Mitstreitern Klaus Martens und Barbara Zeizinger einige Texte für Sie ausgewählt. Im Bücherregal stehen diesmal Neuerscheinungen von Karl Ove Knausgård, Holger Benkel und Hellmut Seiler, die von unseren Rezensenten Pilar Baumeister, Ulrich Bergmann und Edith Ottschofski kritisch unter die Lupe genommen wurden.
Eine anregende Lektüre wünscht Ihnen
Traian Pop

Es signiert:
• Dato Barbakadse • Peter Gehrisch • Kato Dschawachischwili • Ela Gotschiaschwili • Badri Guguschwili • Nika Jorjaneli • Rusudan Kaischauri • Esma Oniani • Eka Kevanischwili • Nino Sadghobelaschwili • Lela Samniaschwili • Irma Schiolaschwili • Amiran Swimonischwili • Mariam Ziklauri • Klaus Martens • Barbara Zeizinger • Pilar Baumeister • Ulrich Bergmann • Edith Ottschofski •
Inhalt
Editorial / S. 3
Die Welt und ihre Dichter
Frankfurter Buchmesse 2018 • Gastland Georgien
Dato Barbakadse • Elf Gedichte / S. 9
Peter Gehrisch • Die ewig fließende Grenze zwischen Leben und Tod / S. 38
Kato Dschawachischwili • Zwei Gedichte / S. 47
Ela Gotschiaschwili • Zwei Gedichte / S. 52
Badri Guguschwili • Sieben Gedichte / S. 58
Badri Guguschwili • Die Metro der Illusion . Vier Gedichte / S. 68
Badri Guguschwili • Visuelle Gedichte / S. 78
Nika Jorjaneli • Neun Gedichte / S. 86
Rusudan Kaischauri • Zwei Gedichte / S. 103
Eka Kevanischwili • Zwei Gedichte / S. 106
Esma Oniani • Neun Gedichte / S. 111
Esma Oniani • Gedanken über die Poesie / S. 125
Nino Sadghobelaschwili • Zwei Gedichte / S. 147
Lela Samniaschwili • Drei Gedichte / S. 153
Irma Schiolaschwili • Drei Gedichte / S. 158
Amiran Swimonischwili • Elf Gedichte / S. 162
Mariam Ziklauri • Drei Gedichte / S. 174
Klaus Martens • Sechs Gedichte / S. 179
Atelier
Barbara Zeizinger • Die Reise . Prosa / S. 185
Bücherregal
Pilar Baumeister • Karl Ove Knausgård, Im Frühling. / S. 192
Ulrich Bergmann • Holger Benkel, fliegende wesen. / S. 195
Edith Ottschofski • Hellmut Seiler, Dieser trotzigen Ruhe Weg. / S. 201

MATRIX Nr. 1-2/2005 (1-2)

MATRIX Nr. 1-2/2005 (1-2)

Achtung, es rauscht! Hören Sie es? Nein, nicht in unseren blattlosen Wäldern. Die im Januar aufgewachten Herbststürme sind auch nicht gemeint. Es rauschen die Blätter von „Matrix“, aber in Wirklichkeit nur 30 Prozent der Beiträge dieser Ausgabe. Ungefähr die gleiche Anzahl hat Angst vor dem Rausch und ebenfalls 30 Prozent „leiden“ an einer anderen „Art von Rausch“. Aber freuen Sie sich ebenfalls über die restlichen 10 Prozent! Sie sind so gut, dass man allein beim Lesen, beim Träumen, beim Interpretieren einen Rausch bekommt und beim Sprechen darüber schwindelig wird wie nach einem Glas Champagner. Was mich daran erinnert, Ihnen liebe Leserinnen und Leser ein gutes und glückliches neues Jahr zu wünschen!
Das Erbe, das Atelier, das Debüt: Aus Freude an Literatur und Kultur rauschte und raschelte es am Redaktionstisch. Wir möchten mehr als Ihrem Bedürfnis nach kultureller Information nachkommen.
Luxemburg und Sibiu/Hermanstadt – Kultureuropas Hauptstädte, Una Notte Italiana, Wir brauchen Europa, 50 Jahre Exil-PEN-Club, Marathon, bacchus, Spielfleisch, Abhauen…, Das Hypomnema & Ich: kam: before the storm, Krümel: Die Titel liegen blank. Wenn andere sich fürchten, freut sie sich: Die Redaktion arbeitet als professioneller Rauschschmuggler.
Sollten Sie sich ohne Rausch und mit klarem Kopf einen Essay „über die gesetze der physik und modelle des universums“ gönnen? Sie haben die Qual der Wahl. „… dass eine mathematisch erfasste Kosmologiearbeit in einer literarischen zeitschrift erscheint, sollte eher mit einem bekämpfungsversuch der negativistisch-nihilistischen philosophien zu tun haben, die infolge der drei vorgeschlagenen szenarien für das verhalten des universums entstanden …“ erläutert uns der Autor Paul Pistea. Die neu eingerichtete Rubrik „Cogito“ ist nicht nur für Hawkings- oder Einstein-Fans gedacht!
Ankündigen darf ich Ihnen an dieser Stelle, dass die nächsten Matrix-Ausgaben nicht nur ein Titelthema haben werden, sondern mehrere Schwerpunkte, wie man an dieser Ausgabe schon erahnen kann.
Für die nächste Ausgabe haben wir Platz für literarische Beiträge, die dem Thema „Schriftsteller sein“ zugeordnet werden.
Ein Aufruf an jungen Autorinnen und Autoren, die bisher noch kein Buch veröffentlicht haben: Der Pop-Verlag wird demnächst einen Preis für das beste Lyrik- Manuskript (im Frühjahr) und einen für das beste Prosa- Manuskript (im Herbst) ausschreiben. Die prämierten Bücher werden veröffentlicht und andere gute Zusendungen in zwei Anthologien zusammengefasst. Genauere Konditionen erfahren Sie demnächst auf der Homepage des Pop-Verlags.
Ein berauschendes Leseerlebnis wünscht Ihnen
Traian Pop

Inhaltsverzeichnis

Editorial / S.3

Das Erbe
Francisca Ricinski-Marienfeld: „Der gute Europäer“ Stefan Zweig konnte nicht mehr warten / S.4
Reinhard Streit: Alfonsina Storni, Argentiniens berühmte Dichterin / S.6

Die Dichter dieser Welt / S.8
Valentino Zeichen: Gedichte / S.8
Francesco Macciò,: Gedichte / S.10
Angelo Tonelli: Gedichte / S.12
Gabriella Galzio: Gedichte / S.14
Massimo Daviddi: Gedichte / S.17
Karlhans Frank: Gedichte / S.20
Ioana Nicolaie: Gedichte/ S.22
Jan Goczol: Gedichte/ S.25
René Welter: Gedichte / S.26
Jean-Michel Bongiraud: Gedichte / S.28
Horst Samson: Gedichte / S.30
Herta Müller: Gedichte / S.33
Mircea Ivanescu: Gedichte / S.35
Merkez Gulijew: Fabel / S.36

Leuchttürme
Eine Erinnerung an Oskar Pastior von Jan Koneffke/ S.37
Iustin Panta: Gedichte / S.40

Essay
Uli Rothfuss: Kunst als Transmissionsriemen für die Gesellschaft Die Inszenierung als Aufgabe einer zeitgemäßen Kulturvermittlung /S.41

Signum
Uli Rothfuss: Gedichte / S.45

Atelier
Edith Konradt: Gedichte / S.46
Theo Breuer: Gedichte / S.49
Hellmut Seiler: Gedichte / S.53
Jochen Bauer: Gedichte / S.54
Reiner Wedler: Parodien / S.56
Ines Hagemeyer: Gedichte / S.58
Manfred Pricha: Gedichte / S.60
Maeco Kerler: Gedichte / S. 62
Joanna Lisiak: Gedichte / S. 63
Kerstin Becker: Gedichte / S.65
Urszula Usakowska-Wolff: Gedichte / S. 66
Dorothea Fleiss: Monographien / S. 67
Rolf Stolz: Prosa / S. 71
Markus Berger: Prosa / S. 72
Ioona Rauschan: Prosa / S. 75
Gerald Meyer: Prosa / S. 83
eje winter: Prosa / S. 86
Ulrich Bergmann: Prosa / S. 88

Debüt
Antonio Staude: Zweisprachiges Gedicht / S. 90
Anna Cäcilia Weinand: Gedichte / S.94

Cogito
Paul Pistea: über die gesetze der physik und modelle des universums /97

Rezensionen
Hildegard Ginzler: über Irena Wachendorffs Buch, „Grenzwort“, 2005, / S.113

Aus der Kulturszene
Hildegard Ginzler: Die Prinzessin Der Bahnhof/ S.114
Antonio Staude: Una Notte Italiana/ S.116
Barbara-Marie Mundt: Festival etnográfico / S. 119

Aktuell
Wolfgang Schlott: Fünfzig Jahre ästhetischer und politischer Widerstand: der Exil PEN Club Deutschsprachiger Länder im Lichte neuer Herausforderungen / S. 121
Carmen-Francesca Banciu: Wir brauchen Europa, und Europa braucht uns / S. 128 Umberto Eco ist 75. / S. 130

Forum

MATRIX 4/2017 (50) • Kreuz und quer – Lyrik aus Rumänien •

MATRIX_50_A MATRIX_50_BVor ein paar Tagen habe ich in Rumänien ehemalige Kollegen getroffen, um 40 Jahre seit unserem Uni-Abschluss zu feiern. Nachdem wir uns alle wiedererkannt hatten, ging man ziemlich rasch zum Wesentlichen über. Wie es schien, sollte jeder zuerst einige Kreuzchen auf dem Fragebogen seines eigenen Lebens machen. Ich war endlich brav geworden, wie meine Frau anmerkte, und beantwortete – wenn auch leicht irritiert – alle Fragen, ohne zu übertreiben oder jemanden vor den Kopf zu stoßen. Eine einzige Kollegin meinte jedoch, ich sei immer noch der gleiche Rebell wir vor 40 Jahren und sie lasse sich von meinem Gerede nicht an der Nase herumführen. Denn sie wisse, dass ich schreibe, und ihr Sohn lese Gedichte, sogar auf Deutsch, obwohl seine Stärke das Englische sei.
So war es: Einige waren echt froh, mich wiederzusehen. Was sie nicht glauben wollten, ist die Tatsache, dass ich kein Haus, keine Jacht, keine Jagdpacht oder zumindest einen Porsche besitze und in Deutschland als Verleger einen schweren Stand habe.
Dies erinnerte mich an die Zeiten, als unsere Eltern miteinander wetteiferten, wer die klügeren und erfolgreicheren Kinder hatte. Pech für meine Eltern, zumindest was mich betraf: Ich war zwar an Lesen, Rechnen und Sport interessiert, aber es reichte nicht. Das Rennen machten die wenigen, die bereit waren, sich die Vorträge und Meinungen unserer Lehrer wortwörtlich zu merken und zu wiederholen.
Meine Eltern haben dann doch akzeptiert, dass ich stets an anderem interessiert war, als festen Boden unter den Füßen zu haben. Irgendwie sind alle meine Verweigerungen mehr gewesen, als eine Art zu pennen. Im Gegenteil. Ich war nie zufrieden mit dem, was ich erreicht hatte. In Rumänien zum Beispiel, wo ich nach meinem Elektrotechnik-Studium statt Ingenieur Schriftsteller sein wollte. In Deutschland, wo ich mit einem Uni-Abschluss in der Tasche mein Brot jahrelang als Lagerarbeiter verdient oder mich integriert habe, wenn Sie es lieber so lesen wollen, bevor mir die liebevollen Damen und Herren von den „Human Resources“ eine qualifizierte Stelle als von Microsoft geprüfter und zertifizierter Systemingenieur anboten. Doch „Human Ressource“ wollte ich nie sein und habe mich als Verleger getarnt.
Sie werden es kaum glauben, aber trotz der Tatsache, dass ich mich auch als Verleger nicht besonders gut aufgehoben fühle, mache ich weiter. Entgegen allen Erwartungen. Gefragt wurde ich schon: Wie, warum, wieso, was steckt dahinter? Fragen tue ich selbst allerdings immer weniger. Es hat kein Sinn, ich mache sowieso weiter.
Ein Literaturverleger also, um genauer zu sein, der natürlich die Literatur des Landes, wo er geboren und, wenn überhaupt, erwachsen wurde, gut kennen sollte. Deswegen hatte ich zunächst auch kein Problem, eine Lyrik-Anthologie ins Auge zu fassen. Erst als ich anfing, konkret an eine Auswahl von Autoren und Texten heranzugehen, bemerkte ich, dass die Sache gar nicht so einfach war. Die „Anthologie“ ist mittlerweile zum „Versuch einer Anthologie“ geworden. Und demnächst werde ich wohl zu dem Ergebnis kommen, dass ich die rumänische Literatur nur oberflächlich kenne. Werde ich irgendwann einräumen müssen: Ich kenne die rumänische Literatur nicht? So lange werde ich bestimmt nicht warten.
Deshalb will ich versuchen, Ihnen mithilfe einiger (leider nicht sehr vieler) aus dem Rumänischen, aber auch aus dem Ungarischen, Aromunischen, Serbischen, Romanes und anderen Sprachen ins Deutsche übersetzter Texte sowie mithilfe (nicht weniger) deutsch verfasster Gedichte einen Blick auf Rumäniens Lyrik-Landkarte zu ermöglichen.
Nehmen Sie bitte als Maßstab nicht die im deutschen Sprachraum bekannten Schriftsteller aus Rumänien. Auch wenn dazu einige renommierte Autoren zählen wie Eugen Ionesco, Emil Cioran, Mircea Eliade, Norman Manea, Mircea Cărtărescu, Matei Vişniec, Ana Blandiana, Eginald Schlattner, Richard Wagner, Dieter Schlesak oder die Nobelpreisträgerin Herta Müller. Die Vielfältigkeit dieser Literatur kann höchstens geahnt werden, ohne ihren „Exoten“-Status zu vermindern.
Außerdem bitte ich Sie, die hier und in der nächsten Ausgabe gesammelten Texte nicht als eine Anthologie aufzufassen, sondern als eine Lyrik-Reise durch Rumänien, wie sie uns die Mittel, die Zeit, die Kräfte und das Glück erlaubt haben.
Unser Versuch, die Präsenz Rumäniens nicht nur bei der Leipziger Buchmesse, sondern allgemein in der Literaturszene des deutschen Sprachraums zu fördern, hat einen einzigen Grund: In Rumänien schrieb und schreibt man großartige Literatur, deren Bekanntheit immer noch schmerzlich auf sich warten lässt.
Die mehr als 170 Seiten Lyrik aus Rumänien (mit Gedichten von Daniel Bănulescu,  Nikolaus Berwanger, Denisa Comănescu, Iosif Costinaş, Aura Christi, Grigore Cugler, Rodica Drăghincescu, Mihail Eminescu, Ioan Flora, Emilian Galaicu Păun, Slavomir Gvozdenović, Emil Hurezeanu, György Mandics, Zsuzsanna M. Veress, Kira Iorgoveanu-Mantsu, Virgil Mazilescu, Ruxandra Niculescu, Nicolae Prelipceanu, Dieter Schlesak, Nichita Stănescu und Gelu Vlaşin) werden begleitet von Ulrich Bergmanns Reise durch „Die Monde der gelben Mitte“, Prosa von Gerhard Bauer und Bernd Kebelmann sowie einem Interview mit Bernd Kebelmann über sein Buch Blind Date mit Ägypten (gefragt hat Barbara Zeizinger). Wolfgang Schlott, Edith Ottschofski, Eric Giebel, Uli Rothfuss, Barbara Zeizinger und Roland Kaufhold besprechen neu erschienene Bücher von Badri Guguschwili, Micho Mossulischwili, Thomas Melle, Werner Streletz, Manfred Chobot und Dogan Akhanli.

In der nächsten Ausgabe setzen wir unsere Reise durch die rumänische Lyrik-Landschaft fort.

Eine spannende Lektüre wünscht Ihnen
Traian Pop

Es signiert:

• Daniel Bănulescu • Kreuz und quer – Lyrik aus Rumänien • Nikolaus Berwanger• Denisa Comănescu • Iosif Costinaş • Aura Christi • Grigore Cugler • Horst Fassel • Rodica Draghincescu • Mihail Eminescu • Ioan Flora • Emilian Galaicu Păun • Slavomir Gvozdenović • Emil Hurezeanu • György Mandics / Zsuzsanna M. Veress • Kira Iorgoveanu-Mantsu • Virgil Mazilescu • Ruxandra Niculescu • Nicolae Prelipceanu • Dieter Schlesak • Nichita Stănescu • Gelu Vlaşin • Wolfgang Schlott • Rainer Wedler • Ulrich Bergmann • Gerhard Bauer • Bernd Kebelmann • Barbara Zeizinger • Uli Rothfuss • Edith Ottschofski • Eric Gieebel • Roland Kaufhold •  

Editorial / S.4

Die Welt und ihre Dichter

• Kreuz und quer – Lyrik aus Rumänien •

Daniel Bănulescu • Drei Gedichte / S. 7
Nikolaus Berwanger • Drei Gedichte / S. 13
Denisa Comănescu • Fünf Gedichte / S. 24
Iosif Costinaş • Einiges von dem, was ich nicht verstehe . Ein Gedicht / S. 31
Aura Christi • Zehnte Elegie . Ein Gedicht/ S. 34
Grigore Cugler • Fünf Gedichte / S. 38
Horst Fassel • In vielen Sprachen zu Hause . Grigore Cugler (1903-1972) / S. 44
Rodica Draghincescu • Meinetwegen . Prosa als Gedicht / S. 50
Mihail Eminescu • Acht Gedichte / S. 62
Ioan Flora • Vier Gedichte / S. 74
Emilian Galaicu Păun • Ch-ău . Ein Gedicht / S. 85
Slavomir Gvozdenović • Acht Gedichte / S. 92
Emil Hurezeanu • Drei Gedichte / S. 101
György Mandics / Zsuzsanna M. Veress • Zwei Gedichte / S. 111
Kira Iorgoveanu-Mantsu • Sechs Gedichte / S. 119
Virgil Mazilescu • Zehn Gedichte / S. 125
Ruxandra Niculescu • Sechs Gedichte / S. 135
Nicolae Prelipceanu • Sieben Gedichte  / S. 139
Dieter Schlesak • Sechs Gedichte / S. 147
Nichita Stănescu • Vier Gedichte / S. 157
Gelu Vlaşin • Sechs Gedichte / S. 166

Die Monde der gelben Mitte
Ulrich Bergmann – 包悟礼 • Lie Zi und die Parabel vom Reh / S. 173

Atelier
Gerhard Bauer • Das Horn von Mars-la-Tour . Prosa / S. 180
Bernd Kebelmann • Grabräuber und Spione . Prosa / S. 187
Barbara Zeizinger • Gespräch mit Bernd Kebelmann über sein Buch Blind Date in Ägypten. / S. 191

Bücherregal
Wolfgang Schlott • Badri Guguschwili, Der Tag des Menschen. / S.195
Wolfgang Schlott • Micho Mossulischwili, Schwäne im Schnee. / S. 197
Edith Ottschofski • Thomas Melle, Die Welt im Rücken. / S. 200
Eric Giebel • Johann Lippet, Kopfzeile, Fußzeile. Gedichte&Variationen. / S. 203
Uli Rothfuss • Werner Streletz, unterwegs mit robert desnos. Der freieste aller Dichter. / S. 206
Barbara Zeizinger • Manfred Chobot, Franz -Eine Karriere. / S. 207
Roland Kaufhold • Dogan Akhanli, Verhaftung in Granada oder: Treibt die Türkei in die Diktatur. / S.210

MATRIX 3/2017 (49) • Kito Lorenc •

M_49_A_N M_49_B_NShort story der kanadischen Lyrik hieß der Hauptteil unserer letzten Ausgabe, der in einer kleinen, aber feinen Auswahl von Andrew Goldthorp und Stefanie Golisch englischsprachige Autoren aus Kanada vorstellte. Vertreten war, wie denn sonst, auch Margaret Atwood. Inzwischen wurde sie zur diesjährigen Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels gewählt. In der Begründung des Stiftungsrats heißt es u. a.: „Die kanadische Schriftstellerin, Essayistin und Dichterin zeigt in ihren Romanen und Sachbüchern immer wieder ihr politisches Gespür und ihre Hellhörigkeit für gefährliche unterschwellige Entwicklungen und Strömungen.“
Dass unser Mitarbeiter Klaus Martens eine besondere Beziehung zur Atwood-Dichtung hat, ahnte ich, als wir uns über mögliche Nobelpreisträger für Literatur 2018 unterhalten haben. Nun bin ich mir sicher – und auch Sie können es anhand seines Beitrags nachvollziehen: „Atwood hatte mich als Leser ,an der Angel‘, ,am Haken‘. I was hooked. Das war’s schon. So knapp, so viel. Ein Liebesgedicht? Atwoods kleines Buch Power Politics stellt die Machtfrage im interpersonalen Bereich, so bereits hier am Anfang. Passen wir zusammen?, ist die Frage an den Partner. Passen wir ineinander wie der/dein (Kleider-)Haken in ein Knopfloch, ein Angelhaken in ein Auge? Werde ich wie ein Fisch ins Außen gezogen? Ein Fischhaken in meinem geöffneten Auge? Bedeutet dies die Liebesaufnahme, die Verbindung von zwei Personen als schmerzhafte, ja tödliche Gefangennahme bei vollem Bewusstsein? Der Liebesakt als Tötung.“ (Klaus Martens)

Ich geh, ich krieche / zum Grubenrand: / Was ist dir, Bruder / du steckst bis zum Hals / schon im Sand // Er spricht von unten: / Es ist so kalt, so dunkel / hier in der Grube. / Habt ihr es oben / warm in der Stube? (Es ruft aus dem Dunkel da unten, Kito Lorenc)
„Menschen sind Wesen, die sich nicht in schön gerahmte Bilder pressen lassen; jedenfalls nicht in den Gedichten von Kito Lorenc, der am 24. September 2017 im 79. Lebensjahr unverhofft in Bautzen verstorben war. Schon 1965 zeichnete der damals junge Literat aus der Lausitz im Gedicht Aber wenn ihr weint… ein poetisches Menschenbild, welches nicht nur den eckigen oder runden Rahmen des ,sozialistischen Realismus‘ sprengte.“ (Benedikt Dyrlich)
Über die Bereicherung der Weltliteratur durch Kito Lorenc wird wahrscheinlich erst demnächst richtig und laut gesprochen. Wir wollen in dieser Ausgabe mit einigen Texten sowie einigen Gedanken von Elke Erb und Benedikt Dyrlich an den verstorbenen Dichter erinnern.

Georgien wird nächstes Jahr Gastland auf der Frankfurter Buchmesse sein. Unser Wunsch, Ihnen einige herausragende Vertreter dieser Literatur zu präsentieren, ist immer noch so stark wie vor ein paar Jahren, als wir die ersten georgischen Autoren vorgestellt haben. In der vorliegenden Ausgabe ist es Guram Assatiani, „ein wahrer Ästhetiker und ein fantasievoller Literat vom Scheitel bis zur Sohle“, wie er von einem Kollegen charakterisiert wurde. So liebte man in Georgien, einen seiner bekanntesten Texte dort, haben wir für Sie, liebe Lesbierinnen und Leser, übersetzen lassen.

„Ihr Versuchsfeld für eine neue Gesellschaft stand auf dem Spiel. Indem die Hippie-Hochburg durch Außeneinwirkung immer
kaputter und zugleich kommerzieller wurde, kam es in der Allgemeinheit und selbst in der liberalen Jugendszene zu einem starken Imageverlust der Hippies. Dagegen wurden in den Medien die Kleidung und die Musik der Hippies zum gefeierten Modetrend. Anlass für die Begründer der Hippie-Bewegung, am 6. Oktober 1967 in San Francisco den Hippie symbolisch zu Grabe zu tragen. Der Sarg war angefüllt mit zwei Kilo Marihuana, Postern, Buttons und falschen Bärten – was so alles in ,Hippie-Shops‘ verkauft wurde. Doch mit diesem Abgesang konnte noch keiner ahnen, wie tief sich die Spuren der Hippie-Bewegung ins kollektive Bewusstsein gegraben hatten, wie nachhaltig sich ihre Ideen, wie entwicklungsfähig sich viele ihrer soziokulturellen und alternativen Ansätze erweisen würden…“ Wie das vor 50 Jahren war, schildert Peter Frömmig in seinen Erinnerungen an den Summer of Love von 1967. Sein Essay Vom Höhepunkt und Niedergang der Hippie-Bewegung ist nur zu empfehlen.

Johann Lippet, Abdelwahed Souayah, Traian Pop Traian, Liviu Tulbure (Bilder aus der Reihe „Memorial ’89“), Peter Vougar Aslanov (mit einer historischen Prosa über den Roten Oktober 1917), Michael Hillen, Ulrich Bergmann (diesmal mit grafischen „Texten“) und Ngo Nguyen Dung bestücken unsere Rubriken „Atelier“ und „Zeitgeschichte“.

Aus unserem Bücherregal haben wir diesmal Titel von Harald Gröhler (Eine Selbstmörderin),  Dennis Mizioch  (Thermoplastische Texte), Michael Hillen (Wundbilder), Florian Günther (Genug Zeit zu verlieren. Neue Fotos, gebrauchte Gedichte), Iris Wolff (So tun, als ob es regnet) und  Wsewolod Nekrassow (Ich lebe ich sehe) sowie aus dem Marbacher Katalog 69 (Rilke und Russland) ausgewählt. Barbara Zeizinger, Ulrich Bergmann, Helwig Brunner, Rainer Wedler, Uli Rothfuss und Wolfgang Schlott zeichnen die Buchbesprechungen.

Die nächste Ausgabe kommt ein bisschen spät, aber bald: mit vielen Texten aus Rumänien – als kleine Kostprobe zur Leipziger Buchmesse, bei der 2018 rumänische Autoren auf der Hauptbühne agieren.

Frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr wünschen Ihnen die Autoren und Redakteure von MATRIX!

Herzlich,
Traian Pop

Es signiert:

• Klaus Martens • Margaret Atwood • Kito Lorenc • Elke Erb • Benedikt Dyrlich • Guram Assatiani • Johann Lippet • Abdelwahed Souayah• Peter Frömmig • Vom Höhepunkt und Niedergang der Hippie-Bewegung Anna Letodiani • Traian Pop Traian • Michael Hillen • Liviu Tulbure• Vougar Aslanov • Ulrich Bergmann • Ngo Nguyen Dung • Helwig Brunner • Barbara Zeizinger • Uli Rothfuss • Wolfgang Schlott • Rainer Wedler •

Editorial / S.4

Die Welt und ihre Dichter

Klaus Martens • Repräsentierende Prosa / Militante Lyrik . Margaret Atwood. Ein subjektiver Überblick / S. 7

• Modernisierer sorbischer und deutscher Literatur •
Benedikt Dyrlich • In Erinnerung an den Dichter Kito Lorenc . Modernisierer sorbischer und deutscher Literatur / S. 17
Kito Lorenc • Acht Gedichte / S. 21
Elke Erb • Durch lauter gleich Frühnebeln schleiernde Hüllen / S. 30

• So liebte man in Georgien •
Anna Letodiani • Guram Assatiani  – Forscher des georgischen Charakters / S. 39
Guram Assatiani • So liebte man in Georgien / S. 47

Johann Lippet • Die Heiratsanzeige . Lebensläufe . Schriftsteller/Schriftstellerinnen . Prosa / S. 75
Abdelwahed Souayah • Vier Gedichte / S. 84

Zeitgeschichte
Peter Frömmig • Vom Höhepunkt und Niedergang der Hippie-Bewegung / S. 93
Traian Pop Traian • Sieben Gedichte / S. 101
Liviu Tulbure • Vier Bilder aus der Reihe Memorial ’89 / S. 103
Vougar Aslanov • Es ging nicht anders . Historische Erzählung / S. 115

Atelier
Peter Frömmig  • Neue Gedichte (2017) / S. 151
Michael Hillen • Zehn Gedichte / S. 159
Ulrich Bergmann • Innenansicht der Äußern Werte . grafische ‚Texte‘ / S. 169
Ngo Nguyen Dung • Schnee in meinen farblosen Träumen . Prosa / S. 177

Bücherregal
Barbara Zeizinger • Harald Gröhler, Eine Selbstmörderin / Samobójczyni. / S.187
Ulrich Bergmann • Thermoplastische Texte . Gebrauchsanweisung zum Verständnis gegenwärtiger Dichtung am Beispiel von „istanbul. eine matrjoschka“ von Dennis Mizioch  / S.189
Helwig Brunner • Michael Hillen, Wundbilder./ S.192
Rainer Wedler • Marbacher Katalog 69 | Rilke und Russland. / S.196
Ulrich Bergmann • Florian Günther, Genung Zeit zu verlieren. Neue Fotos, gebrauchte Gedichte. / S. 198
Uli Rothfuss • Iris Wolff, So tun, als ob es regnet. / S.201
Wolfgang Schlott • Wsewolod Nekrassow, Ich lebe ich sehe. / S.203

 

MATRIX 2/2017 (48) • Short story der kanadischen Lyrik •

MATRIX 48MATRIX 2/2017 (48)

Kein Land kann tatsächlich die Heimat eines Menschen sein. Unser Heimatland ist, wie die Bibel sagt, der Himmel. Hier aber, unter dem Himmel, sind wir, wo immer wir leben, in der Lage von Exilanten. „Fremdlinge“ also sind wir und immer unterwegs. Natürlich ist jeder Mensch mit dem Ort seiner Geburt verbunden, der Gegend, wo er aufgewachsen ist. Auch mit der Sprache, der Geschichte seines Landes, dessen Traditionen. All dies macht seine Identität aus. Diese Identität aber ist eine gegebene, keine, die man bewusst wählen kann. Also kann niemand seine Zugehörigkeit zu einem bestimmten Land als persönliches Verdienst betrachten. Man kann demnach nicht stolz darauf sein, ein Deutscher zu sein, wie man auch nicht auf blaue Augen stolz sein kann.
Die Tatsache, ein Deutscher zu sein, muss ohne Eitelkeit, ohne Überheblichkeit, auch ohne Minderwertigkeitskomplexe angenommen werden. Aber ein Deutscher zu sein (oder ein Angehöriger irgendeiner anderen Nation) impliziert nicht nur Loyalität, sondern auch Verpflichtungen. Und kommt man denen nicht nach, läuft man Gefahr, sich menschlich – und nicht im strengen Sinne „patriotisch“ – zu disqualifizieren. Was auch für die Parteien zutrifft, ob die Roten, die Grünen, die Gelben, die Blauen, die Schwarzen, die uns eigentlich vertreten sollten. Ehrlich gesagt, fühle ich mich in keinem Fall vertreten, von keinem der gewählten Farbenträger oder -bekenner. Ich hätte mir gewünscht, dem wäre nicht so, aber wie im Leben werden auch in der Politik die Farben immer wieder verstärkt, geschwächt, gelöscht, vermischt, verwechselt, vertuscht, verfälscht, gekauft, verkauft …

Vertreten fühle ich mich deshalb hauptsächlich von der Literatur. Sei sie aus der Türkei, aus Georgien, aus Rumänien, aus Russland, aus Korea, aus dem Iran, aus den USA, aus Deutschland, woher auch immer: Hauptsache Literatur. Nicht mehr, aber auch nicht weniger als LITERATUR.
Manchmal schaffen wir es – mein Team und ich –, Ihnen Literatur zu vermitteln. Wenn es so ist, können Sie davon ausgehen, dass die Werke, die in MATRIX zu Wort kommen, zu den Vertretern der von uns anerkannten Republik der Literatur und Kunst zählen.

Einer davon, der große karibische Dichter Derek Walcott, wurde 1988 von Klaus Martens für Deutschland entdeckt. Martens war bis zur Jahrtausendwende sein deutscher Übersetzer, er war dem Nobelpreisträger von 1992 aber auch als sein Gastgeber freundschaftlich verbunden. Er verfolgte den weiteren Weg des Dichters, der nicht einfach gewesen ist, mit großem Interesse bis zu dessen Tod am 17. März 2017 auf seiner Insel St. Lucia.

Short story der kanadischen Lyrik heißt der Hauptteil dieser Ausgabe. Eine kleine Auswahl, die Andrew Goldthorp und Stefanie Golisch zusammengestellt haben, repräsentiert einen Querschnitt von Gedichten, die exemplarisch für die Suche nach einer genuin kanadischen Identität begriffen werden können ‒ einem Paradoxon, wenn man bedenkt, dass die Wurzeln der weitaus meisten Kanadier in andere Länder und Kulturkreise reichen. Vertreten durch eigene Texte sind die englischsprachigen Autoren: Pauline Johnson, E. J. Pratt, A. M. Klein, Irving Layton, Al Purdy, Leonard Cohen, Margret Atwood, Gwendolyn MacEwen, Kevin Irie und Bruce Meyer.

„An den rostig-weißen Mauern von Cartagena
liest eine Palme dem Sand aus der Hand,
doch die Linien vergehen schnell; »Malagueña«
kratzt eine strohbehütete Band,
und ein Hahn stolziert mit Quetzalcoatls Federn,
und die rußigen Büschel der Palmen sind Braten
am Spieß von Briganten, ganz wie im Hilton.“

Ay, caramba, Gringo! / wie New York ist‘s, findste nicht? … Derek Walcott ist nicht nur durch die Erinnerungen seines Freundes Martens, sondern auch mit drei von ihm ins Deutsche übersetzten Gedichte vertreten.

Erst nach dem Tod des polnische Poeten Cyprian Kamil Norwid wird der unvergleichliche Wert seines Dichtens erkannt und von Zenon Przesmycki und der Krakauer Avantgarde entsprechend gewürdigt. Peter Gehrisch versucht, ihn uns nahe zu bringen durch seine raffinierten Übersetzungen und einer ausführlichen Einführung.

Das Werk des iranisch-deutschen Dichters SAID bewegt heute mehr denn je, findet Maryam Aras und gratuliert SAID zu seinem siebzigsten Geburtstag. In seiner Lyrik und seinen Essays reflektiert er beharrlich das Leben im Exil, sein mal liebevolles, mal leidvolles Verhältnis zur deutschen Sprache und zu seinem Europa, dessen Idealen er sich trotz der aktuellen Politik verbunden fühlt.
Theo Breuer ist wieder dabei, diesmal mit Collagen. Denisa Comănescu, Arzu Demir, Kira Iorgoveanu-Mantsu, Emil Hurezeanu, Horst Samson, Viorel Marineasa, Adriana Carcu, Barbara Zeizinger und Charlotte Ueckert ergänzen unser dichterisches Weltpanorama.

„Übersetzen ist ein Grattanz, den man ins dialektische Gleichgewicht bringen muss, um sich nicht zu verirren in der Wüste der Akribie oder in einem Amazonas leerer Phantasie.“ meint Ulrich Bergmann  und versucht dies zu belegen durch „Ein kleines Gedicht und viele Übersetzungen“.

„Am Tag, als mein Vater verschwand, stand ich im Examen, hatte einen halben Vormittag in einem Göttinger Prüfungsamt verbracht und war dann mit meiner Freundin spazieren gegangen, um den Kopf auszulüften…“ Ob der Vater Klaus Martens tatsächlich an diesen Tag – und überhaupt – verschwunden ist, möchte ich – schon nach den ersten Seiten – gar nicht mehr wissen, so hält mich der Text gefangen. Ein Auszug aus dem Roman finden Sie in unserem unter dem Namen „Atelier“ bekannten Vorschaufenster.

Wolfgang Schlott, Anneliese Merkel,  Stefanie Golisch, Peter Frömmig, Katharina Kilzer,  Ulrich Bergmann, Rainer Wedler, Uli Rothfuss, W. Gunther le Maire haben wieder interessante Rezensionen geschrieben.
Traian Pop

Es signiert:

• Klaus Martens • Derek Walcott • Cyprian Kamil Norwid • Peter Gehrisch •Andrew Goldthorp • Stefanie Golisch • Short story der kanadischen Lyrik • Pauline Johnson • E. J. Pratt • A. M. Klein • Irving Layton • Al Purdy • Leonard Cohen • Margret Atwood • Gwendolyn MacEwen • Kevin Irie  • Bruce Meyer • Said • Theo Breuer • Denisa Comănescu • Emil Hurezeanu • Viorel Marineasa • Adriana Carcu • Barbara Zeizinger • Kira Iorgoveanu-Mantsu •Arzu Demir • Charlotte Ueckert • Anneliese Merkel • Katharina Kilzer • Uli Rothfuss • Wolfgang Schlott • Rainer Wedler • Peter Frömmig • W. Gunther le Maire •

Editorial / S.4

Die Welt und ihre Dichter

• Short story der kanadischen Lyrik •
Andrew Goldthorp und Stefanie Golisch • Short story der kanadischen Lyrik / S. 7
Pauline Johnson • The Song My Paddle sings . Das Lied, das mein Paddel singt / S. 12
E. J. Pratt • Erosion . Erosion / S. 16
A. M. Klein • Heirloom . Erbstück / S. 22
Irving Layton • A Tall Man Executes a Jig . Ein großer Mann führt einen Freudentanz auf / S. 24
Al Purdy • Roblin’s Mills. Roblin’s Mills / S. 32
Leonard Cohen • A Kite is a Victim . Ein Drache ist ein Opfer / S. 38
Margret Atwood • Game After Supper . Spiel nach dem Abendbrot / S. 40
Gwendolyn MacEwen • Dark Pines Under Water . Dunkle Kiefern unter Wasser / S. 42
Kevin Irie • Immigrants: The Second Generation . Emigranten: die zweite Generation / S. 44
Bruce Meyer • The white flower . Die weiße Blume / S. 48
Short story der kanadischen Lyrik . Kurzbiographien der Autoren / S. 50

• Derek Walcott •
Klaus Martens • Kleine Rückschau auf Derek Walcott (1930-2017) / S. 52
Derek Walcott • Drei Gedichte / S. 61

• Cyprian Kamil Norwid – der unergründliche Kosmos •
Peter Gehrisch • Cyprian Kamil Norwid – der unergründliche Kos-
mos . Versuch einer ersten Einführung / S. 68
Cyprian Kamil Norwid • Vier Gedichte / S. 73
Said • tage voller verlangen . Ein Gedicht / S. 79

Theo Breuer • Visuellpoetische Collagen / S. 82
Denisa Comănescu • Fünf Gedichte, rumänisch und in deutscher Übersetzung / S. 89
Arzu Demir • Sechs Gedichte / S. 107

Die Monde der gelben Mitte

Ulrich Bergmann – 包悟礼 • Ein kleines Gedicht und viele Übersetzungen / S. 119

Atelier
Kira Iorgoveanu-Mantsu • Sechs Gedichte/ S. 131
Emil Hurezeanu • Sechs Gedichte/ S. 137
Horst Samson • Sechs Gedichte/ S. 147
Viorel Marineasa • Partoş–Europa, hin und zurück . Prosa / S. 153
Adriana Carcu • Ein altes Haus . In Curtici, zwischen den Welten . Marion . Prosa / S. 157
Klaus Martens • Das Übliche, mit Variationen . Prosa / S. 165
Barbara Zeizinger • Sommerschweigen . Prosa / S. 175
Charlotte Ueckert • Die Fremde aus Deutschland . Prosa / S. 179

Bücherregal

Wolfgang Schlott • Salman Nurhak, … nur die Liebe. 66 Gedichte. / S.185
Anneliese Merkel • Ilse Hehn, Sandhimmel, Lyrik und Übermalun-
gen. / S. 188
Stefanie Golisch • Hans-Jörg Dost, Orte zu leben. / S. 191
Peter Frömmig • Florian Günther, Genug Zeit zu verlieren. Neue Fotos, gebrauchte Gedichte. / S. 193
Katharina Kilzer • Hellmut Seiler, Dieser trotzigen Ruhe Weg. / S. 196
Ulrich Bergmann • David Krause, Die Umschreibung des Flusses. / S. 199
Rainer Wedler • Ruth Langen-Wettengl, Zugabe. Kunst in der
Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main. / S.203
Rainer Wedler • Burkhard Fuhr, Schafe. / S.205
Uli Rothfuss • Ralph Dutli, Die Liebenden von Mantua. / S.207
W. Gunther le Maire • Harald Gröhler, Eine Selbstmörderin / Samobójczyni. / S.209

MATRIX 1-2, 1-2/2005

3937139141.3

 

 

 

 

 

 

Editorial 1

Schiller: Nänie  / 3
Ulrich Bergmann: Warum ich Schiller liebe / 4
Die Dichter dieser Welt
Gregor Laschen: Gedichte 8
Rodica Draghincescu: Interview / 11
Michel Butor / S.11
Yves Bonnefoy / S. 16
Kurt Drawert / S. 21
Cristina Castello / S. 27
Olga Martynova / S. 31
Gérard Blua / S. 34
Sandrine Rotil-Tiefenbach / S. 38
Eginald Schlattner / S. 41
Dieter Schlesak / S. 45
Volker Demuth / S. 50
Arne Rautenberg/ S. 53
Jan Koneffke Bukarester Tagebuch / 58
Leuchttürme
Nichita Stanescu: Gedichte / S. 67
Grigore Cugler: Prosa / S. 73
Essay
Dieter Schlesak Metapoesie der Roten Zeit. Umkehr des Totalitären zum Einen / S. 76
Edith Konradt: Im Auge der Abgottschlange. Splitter einer verdrängten Geschichte / S. 84
Atelier
Valérie Rouzeau: Gedichte / S. 99
Rainer Wedler: Prosa / S. 106
André Schinkel: Prosa/ S. 112
Günter Ruch: Prosa / S. 118
Traian Pop Traian: Theater / S.123
PAPI: Ein Styx-Inter-View mit Johannes Poethen /131
Signum
Ulrich Bergmann: Prosa / S.133
Anita Riede: Prosa /S. 135
eje winter: Prosa / S.137
PAPI: Manchmal später / S. 139
Francisca Ricinski: Prosa / S. 143
Wortspiegel
Bruno Kartheuser: Gedichte  (deutsch/französisch) / S. 146
Neue Lyrik 2005
Armin Steigenberger: Gedichte / S. 150
Debüt
Mareike Rumpf: Prosa / S. 153
Rezensionen
Francisca Ricinski-Marienfeld über: Günter Ruch, Burg Hammerstein, Bertelsmann 2004 / S. 159
Mircea Pop über: Daniel Bãnulescu, Schrumpeln wirst du wirst eine exotische Frucht sein, Wien, edition per procura, Lana, 2003 / S. 160
Ingmar Bransch
über: Ilse Hehn, Lidlos, Holzer Verlag, 2003 / S. 162
Aus der Kulturszene
Francisca Ricinski Marienfeld über:
Inger Christensen, Lesung / S. 164
Vernissage „Confluentes II“ / S. 165
Ulrich Bergmann über: „King Arthur“ v. Henry Purcell / S. 167

MATRIX 2/2015 (40) • Richard Wagner

MATRIX_40_A… wo es eine Literatur gibt,
da gibt es nicht diese Literatur einfach, sondern es gibt sie,
weil nach ihr verlangt wird … (143 Seiten mit und über Richard Wagner)

 

Wenn ich Sie aufforderte, das Editorial dieser MATRIX einem Psychiater vorzulegen, würden Sie lachen. Dennoch behaupte ich, dass diese „komische“ Gattung rasch ihre Funktion und somit ihre Existenzberechtigung verlieren kann. Doch lesen Sie zunächst die Geschichte und versuchen Sie erst danach, mir zu widersprechen.
Seit einigen Wochen arbeite ich intensiv an dieser Ausgabe, ohne einen Gedanken an das Editorial verloren zu haben. Nun ist das Heft fast fertig, und ich … schreibe das Editorial. Es soll, wenn möglich, soviel wie möglich über die Beziehung des Herausgebers zu den herausgegebenen Texten vermitteln und ungefähr so lang sein wie jenes der letzten Ausgabe. Um diesen Platz geht es eigentlich, obwohl bisher davon nie die Rede war. Und weil der vom Buchstabenhunger geplagte Editorial-Schreiber immer wieder unsere „Welt und ihre Dichter“ und unsere „Debütanten“ als Vorratskammer betrachtet und aus unserem „Atelier“ und unserem „Bücherregal“ genascht hat, sah ich mich veranlasst, auf diese Art von „literarischem Schengen-Raum“ zu verzichten. Das Editorial sollte also in Zukunft eine Pufferzone erhalten und durch einen Riesenzaun von Inhaltsverzeichnis und Inhalt getrennt werden. Gesagt, getan. Zehn Zentimeter breit und siebzehn Zentimeter lang. Nur stellte ich beim Nachmessen fest, dass von den zehn Zentimetern Breite höchstens acht übrig waren und die Länge sich sonderbarerweise auch um etwa drei Zentimeter verkürzt hatte. Denn das Problem lag woanders: Als die anderen Rubriken mein Vorhaben kapiert hatten, fingen sie an, sich zu wehren, weil ich mit Gewalt auf ihr Grundstück vorgedrungen war. „Der Titel da gehört mir“, meckerte das Inhaltsverzeichnis. „Und dieser Buchstabe da gehört mir“, warf mir das „Forum“ eine halbe Stunde später vor. Allerdings gibt es für solche Orte keine Landvermesser, und ich persönlich habe zwei linke Hände, wenn es um so etwas geht.
Hinzu kamen die Angst, nicht rechtzeitig fertig zu werden, und die noch größere Befürchtung, dass Autoren wie Leser dieser Ausgabe mit meinem Editorial nichts anfangen könnten. Wäre es besser, es ganz verschwinden zu lassen? Anscheinend ja. Doch was sollte dann mit den vielen Buchstaben, Wörtern und Sätzen geschehen, die schon über den Zaun hierher gesprungen waren? Erlauben Sie mir, zumindest einiges zu zitieren:

Der Aussiedler, der sich nach zwei Seiten behaupten muss: dem Einheimischen seine Zugehörigkeit weismachen und dem Ausländer den Unterschied erklären. (…)  Der Aussiedler kann nicht Einheimischer und will nicht Ausländer sein.

Die Auswanderung ins Zentrum ist stets auch eine Kapitulation vor der Unlösbarkeit der Widersprüche der Peripherie. Im Zentrum aber wird der Minderheitenschriftsteller bald erfahren, dass ihm sein Dilemma erhalten bleibt.

Im Westen für die Schublade schreiben, heißt für die westliche Öffentlichkeit     schreiben. Für alle, die nicht Einheimische sind, gibt es die entsprechenden Schubladen. Den Schlüssel zu den Schubladen hat der Literaturbetrieb.

Niemand entgeht der Frage nach der Landsmannschaft. Was für ein Landsmann sind Sie?

Als Ceausescu und ich 68er waren.

… die Behauptung, Solschenizyn sei im Lager womöglich Informant gewesen. Sie wird sogleich mit dem aktuellen Kundera-Streit assoziiert. Als sei Kundera als Informant in Erscheinung getreten. In beiden Fällen wurde nichts dergleichen bewiesen, die skandalöse Unterstellung aber ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen.

Als Parkinson-Kranker hat man mehr Zeit als andere Leute, man ist halt langsam, wenn man aber langsam denkt, denkt man vielleicht auch Gescheiteres, als wenn man mal schnell etwas denkt.
Brennpunkt-Publizist, Ehrenmörder-Anwalt, Geldwirtschafts-kritiker, Kindheits-Dekonstruktivist, Koran-Versteher, Leuchter-report-Bibliograph, Listenplatz-Politiker, Polkappenforscher, Schiffbruchsphilosoph, Stalker-Therapeut“, die „zehn krisenfesten Berufe für arme Geister.

All diese Zitate stammen aus unserem Schwerpunkt, der diesmal Richard Wagner gewidmet ist. Nicht zu überlesen, wie er sein Banat …

jetzt / da ich es nur noch von außen zu sehen bekomme / von der Weltstadt aus / in die ich mich vor Jahrzehnten mit fliegender Fahne begeben habe / ist es / als läge das Banat weit draußen vor den Toren des Planeten

… nicht nur sieht, sondern uns allen schenkt. Genauso wie sein gesamtes Werk. Danke also, Richard, dass du uns die Texte zur Verfügung gestellt hast. Und vor allem, dass du tust, was du tust, und dass du bist, wie du bist. Dank auch an Horst Samson, der nicht nur die Verbindung zu Richard Wagner aufrechterhalten, sondern sich auch um die Zusammenstellung dieses Schwerpunkts gekümmert hat. Dank auch dem Institut für Kultur und Geschichte Südosteuropas in München für die Unterstützung und die Zusammenarbeit, die uns erlaubt, zu hoffen, dass in Zukunft weitere Projekte dieser Art zustande kommen.

Dankbar bin ich auch allen anderen Autoren, die den Schwerpunkt dieses Heftes mit schönen Beiträgen unterstützt haben, etwa Franz Heinz mit seinem Essay über „Die deutsche Seele“ oder György Dalos mit seinen Überlegungen zu „Richard Wagners Dilemma“ oder Olivia Spiridon und den Tübinger Studenten mit deren Stellungnahmen zu Richard Wagner am Rande eines Seminars im Wintersemester 2012/13.
Feiern wir also zusammen mit Richard Wagner den Sieg der Literatur und des gesunden Menschenverstandes auf fast 150 Seiten.

Blicke auf Brinkmann : Weiter und weiter machen in einer gu­ten Gegen­wart

Am 23. April 2015 jährt sich zum 40. Mal der Tag, an dem Rolf Dieter Brinkmann in London von einer Limousine erfasst und auf der Stelle getötet wurde – aus diesem Anlass lädt Theo Breuer Sie ein, „Blicke auf Brinkmann“ zu werfen mit dem Essay „Weiter und weiter machen in einer guten Gegenwart“. Boško Tomaševićs Gedichte runden „Die Welt und ihre Dichter“ ab, und Ulrich Bergmann setzt seine China-Fahrt fort und berichtet über „Mao Zedong – Der Lange Marsch und die Lyrik“. Klaus Martens, Horst Samson, Hellmut Seiler, Benedikt Dyrlich, Harald Gröhler, Ursula Teicher-Maier und Johann Lippet bestücken das „Atelier“ mit origineller Lyrik und Prosa. Die Rezensionen von Horst Samson, Wolfgang Schlott, Uli Rothfuss, Rainer Wedler, Gert Weisskirchen, Elke Engelhardt sowie sowie der Debütantin Julia Göricke nehmen neue Bücher unter die Lupe.
Nicht zuletzt informieren wir Sie, dass diese MATRIX-Ausgabe auf der Leipziger Buchmesse vorgestellt wird, wozu am 15. März, um 12.30 Uhr im Café Europa (Halle 4, Stand E 401) herzlich eingeladen sind.

Eine anregende Lektüre wünscht Ihnen

Ihr
Traian Pop

Es signiert:

• Hellmut Seiler • Horst Samson • Richard Wagner und die Folgen • Johann Lippet • Franz Heinz • Theo Breuer • György Dalos • Boško Tomašević • Klaus Martens • Benedikt Dyrlich • Ulrich Bergmann •  Olivia Spiridon • Elke Engelhardt • Edith Ottschofski • Ursula Teicher-Maier •  Harald Gröhler • Rainer Wedler • Wolfgang Schlott • Gert Weisskirchen • Uli Rothfuss •

 

Wedler, Rainer

Rainer Wedler, Jg. 1942, fuhr nach dem Abitur als Schiffsjunge in die Türkei, nach Algerien und Westafrika. Promotion über Burleys „Liber de vita“. Lyrik, Kurzprosa, Roman. Bisher sind sechzehn Titel erschienen, zuletzt die Prosasamlung Es gibt keine Spur. Zahlreiche Beiträge in verschiedenen Literaturzeitschriften, u.a. in Allmende, Die Horen, Das Gedicht, Neue deutsche Literatur, Matrix, Bawülon… Mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Preis des Rilke-Festivals Sierre. Wedler ist Mitglied des deutschen PEN.